Der Theatermacher

von Redaktion

Trauer um den Schauspieler, Regisseur und Intendanten Otto Schenk

„Ich war eigentlich immer Theater“, sagte Otto Schenk über sich. In der Nacht zum 9. Januar ist er mit 94 Jahren verstorben. © Roland Schlager

„Leben tut man doch nur, solange man lebt. Und bleiben tut man manchmal länger, als man lebt.“ Nein, der so hell leuchtende Stern am Theaterhimmel von Wien, Salzburg, München, London oder New York wird noch einige Zeit strahlen, wenn er sich auch aus seinem irdischen Leben verabschiedet hat. In der Nacht zum 9. Januar ist Otto Schenk, der österreichische Schauspieler und Regisseur unvergessener Rollen, Operninszenierungen und Schauspielaufführungen, der am 12. Juni 1930 in Wien geboren wurde, im Alter von 94 Jahren in seinem Haus am Irrsee gestorben. „Eine nationale Institution“, wie es aus unserem Nachbarland hallt. Eine internationale Größe, will man hinzufügen. Und ein Mann, der mitgeschrieben hat an den Ruhmestaten der Münchner Theatergeschichte.

Viele Inszenierungen für München

Fangen wir mit München an. Am kommenden 10. Februar (14., 16. und 20. 2. folgen) zeigt die Bayerische Staatsoper „La bohème“. Es ist die letzte Inszenierung von Otto Schenk (aus dem Jahr 1969), die die Staatsoper noch im Repertoire hält. Er hat an diesem Haus auch „La traviata“, „Simone Boccanegra“, „Don Carlo“ inszeniert und die jahrzehntelang alles überstrahlenden, legendären Aufführungen „Der Rosenkavalier“ und „Die Fledermaus“. Bei letzterer ließen sich die Zuschauer nicht allein von Schenks Regie begeistern, sondern ebenso von seiner genialischen Darstellung des Gefängniswärters Frosch. Das war Anfang der Siebzigerjahre und lief bis weit ins neue Jahrtausend hinein. Aber auch die Münchner Sprechbühnen hatten Otto Schenk für sich entdeckt: 1966 Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ und 1969 „Kasimir und Karoline“ an den Münchner Kammerspielen; beides sehr berühmte Aufführungen mit einem großartigen Schauspieler-Ensemble, zum Glück in TV-Aufzeichnungen festgehalten. Und 1973 trumpfte das Residenztheater mit der Schenk-Inszenierung von „Romeo und Julia“ auf, in der Klaus Maria Brandauer den Romeo spielte.

1984 kam Otto Schenk noch einmal nach München zurück, ans damals noch so junge Münchner Volkstheater, und zwar für die Rolle des Bockerer in dem gleichnamigen Stück von Ulrich Becker und Peter Presas. Darin geht es um den sogenannten Anschluss Österreichs und den Einzug der Nationalsozialisten in Wien und wie der Fleischhauer Karl Bockerer im Gegensatz zu Frau und Sohn zum passiven Widerstand findet. „Ich möchte“, sagte Schenk einmal, „dass die Menschen zum aktiven Denken gezwungen werden durch das Theater, durch die Kunst überhaupt“. Diese Haltung erklärt sein einmaliges Münchner Volkstheater-Engagement. In Wien spielte er das Stück erst einige Jahre später, nämlich im Josefstadt-Theater, dem er seit seiner Anfängerzeit immer eng verbunden blieb bis zuletzt, und dessen Direktor er von 1988 bis 1997 war. Das Leben des Otto Schenk war so reich, er inszenierte Opern an den bedeutendsten Häusern der Welt, gehörte zur Direktion der Salzburger Festspiele und war als Künstler nicht wegzudenken aus diesem hochkarätigsten aller Festival-Orte. Er arbeitete mit der Sänger-Elite und den größten Dirigenten, von Bernstein über Böhm bis Abbado und Harnoncourt zusammen, spielte vor allem die Wiener Paraderollen Raimunds und Nestroys, deren Stücke er natürlich auch inszenierte, er war Thomas Bernhards fantastischer „Theatermacher“ (2006 an der Josefstadt), und er war ein geliebter Bühnen-Erzähler kleiner Theatergeschichten.

2019 spielte Otto Schenk seine letzte Rolle: den alten Diener Firs in Tschechows „Kirschgarten“, auch das an seinem Haus, dem Theater in der Josefstadt. Nach dem Tod seiner Frau Renée Michaelis 2022, die er als Student am Wiener Reinhardt-Seminar kennengelernt hatte und mit der er mehr als 60 Jahre verheiratet war, hat sich der alte Meister zurückgezogen: „Ich kann ja nicht mehr gehen. Auf der Bühne muss man sich bewegen können, und das kann ich rein physisch nicht mehr. Nur noch hoppeln. In der Rolle hab ich das noch benutzen können: durch eine Welt taumeln, die es für mich kaum mehr gibt.“

Ob es ihm fehle, von einem begeisterten Publikum nach einer Aufführung gefeiert zu werden, wurde er im Juli 2022 in einem Interview mit der österreichischen Kleinen Zeitung gefragt. Seine Antwort: „Ich selber hab mich nicht gefeiert. Ich war immer weniger begeistert von mir als die Leute, eher leicht unzufrieden. Daher war für mich eine Begeisterung von außen immer eine leichte Beschämung.“ Und: „Ich war eigentlich immer Theater. Ich war Theater, bevor ich überhaupt wusste, was Theater ist.“
SABINE DULTZ

Artikel 3 von 9