„Die Situation ist katastrophal“

von Redaktion

Konzertausfall im Münchner Herkulessaal war nur eine Frage der Zeit

Die unzumutbare Garderobensituation müssen nicht nur die Mitglieder des BR-Symphonieorchesters ertragen. © privat

Zustände wie in der Herrentoilette sind im Bereich hinter der Bühne keine Seltenheit. © privat

Im Auditorium hui, hinter der Bühne pfui: Blick in den Münchner Herkulessaal. © Münchenmusik

Eine bizarre Geschichte betrifft Kent Nagano. Als der Dirigent einmal im Herkulessaal gastierte, für ein Konzert probte und in seine Garderobe zurückkam, hatte er ein Problem: Die Toilettenschüssel im dortigen WC war abmontiert worden. Außenseiter mögen darüber lachen, Betroffene tun dies längst nicht mehr. Die Geschichte ist vielmehr symptomatisch für die Situation in diesem maroden Teil der Münchner Residenz. Und wer in die Veranstalterszene hineinhört, erfährt: Eine Konzertabsage wegen eines technischen Defekts, wie sie am vergangenen Samstag dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks widerfuhr, war nur eine Frage der Zeit.

„München braucht einfach einen voll funktionsfähigen Herkulessaal, ich finde die Situation gerade katastrophal“, sagt Andreas Schessl, Geschäftsführer von Münchenmusik. Er hält die Lage dort für „vollkommen fragwürdig“. Schessl stößt sich dabei nicht nur am dringend sanierungsbedürftigen Saal, sondern auch daran, wie er verwaltet wird: „In dem Moment, in dem ein Gebäude wie dieses an einen Veranstalter vermietet wird, muss es einfach eine entsprechende personelle Ausstattung geben. Auch bei uns kam es schon vor, dass ein Elektriker fehlte.“

Wie berichtet, musste das Konzert des BR-Symphonieorchesters am Samstag abgesagt werden, weil ein Alarm-Blinklicht im Saal nicht ausgeschaltet werden konnte. Normalerweise ist dort ein Elektriker der Ansprechpartner. Doch der Mann ging vor einigen Wochen in Rente, seine Stelle wurde nicht neu besetzt. Verantwortlich dafür und damit für den Herkulessaal ist die Bayerische Schlösserverwaltung, die dem Finanz- und nicht dem Kunstministerium angegliedert ist.

Gerade wegen der ständigen Probleme im Saal sind die Konzertveranstalter auf die Schlösserverwaltung nicht gut zu sprechen. „Das Haus ist aus meiner Sicht chronisch unterfinanziert. Es ist leider beim Finanzministerium angesiedelt und nicht bei einem Ministerium, das der Kultur zugewandt ist“, formuliert es Andreas Schessl. Ähnlich sieht es Alexandra Schreyer von der Konzertdirektion Bell‘Arte: „Das Bewusstsein, dass die Vermietung eines Konzertsaales andere Voraussetzungen benötigt als ein Museumsbetrieb, ist nicht vorhanden.“ Es gebe ein nur mangelhaftes Verständnis für Kulturveranstaltungen. Die Verwaltung sei extrem unkooperativ. „Man wird schikaniert, weil selbstverständliche Dinge nicht funktionieren.“ Vieles mahne man seit Jahren an, doch die Schlösserverwaltung sei nicht in der Lage, sich zu bewegen.

Erst vor einigen Monaten haben sich die Veranstalter zusammengesetzt, um die in ihren Augen indiskutable Situation zu diskutieren. Das Problem: Der Herkulessaal wird dringend benötigt, eine Schließung hätte katastrophale Folgen fürs Münchner Kulturleben – auch weil die Philharmonie im Gasteig vor einigen Tagen endgültig für die bevorstehende Sanierung geschlossen wurde und der Interimsbau Isarphilharmonie gerade im Backstage-Bereich nicht als vollwertiger Konzertsaal durchgeht. „Ich bitte seit Jahren darum, dass sich Stadt und Freistaat zusammensetzen, um einen Kulturplan für München zu entwickeln“, sagt Andreas Schessl. „Für uns Veranstalter und das Publikum ist es doch völlig egal, wer die jeweiligen Säle finanziert – sie müssen funktionieren, damit Kultur überhaupt stattfinden kann und München seinen Ruf als Musikmetropole nicht noch weiter gefährdet.“

Die Situation im Herkulessaal ist schon länger Thema im Landtag. So gab es zum Beispiel im Mai 2023 eine Anfrage der Grünen-Fraktion, kurz nachdem Kunstminister Markus Blume (CSU) seinen Bericht zur Sanierung der freistaatlichen Kulturbauten vorgestellt hatte. Bei der Aufzählung fehlte der Herkulessaal, das monierten die Grünen. Auf Nachfrage räumte Blume Modernisierungsbedarf ein, wies aber darauf hin, dass hier das Finanzministerium und nicht sein Haus verantwortlich sei. Das Finanzministerium wiederum rechnete vor, dass zwischen 2012 und 2022 für die Instandhaltung des Saales rund 2,6 Millionen Euro aufgewendet worden seien. Im August 2023 sei zudem die Bühnentechnik saniert worden. „Mittel- bis langfristig“ sei eine Instandsetzung der Haustechnik vorgesehen. Wie sich nicht erst seit dem vergangenen Wochenende herausstellte: All dies war und ist zu wenig.

Der Herkulessaal ist zwar Teil der Residenz, in seiner jetzigen Form aber erst zwischen 1951 und 1953 als Konzert-Ort errichtet worden. Ursprünglich befand sich an dieser Stelle der Thronsaal von Ludwig I., im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude vollständig zerstört. Die Akustik im 1200-Plätze-Saal ist zwar ausgesprochen gut, das Ambiente gilt aber als veraltet, mancher lästert über den Charme einer Aussegnungshalle. Vor über zwei Jahrzehnten wurden Pläne für einen Umbau entwickelt. Diese wurden unter anderem vom BR-Symphonieorchester befürwortet, das dort Erstbelegungsrecht hat. Vorgeschlagen wurde etwa ein zweiter Rang und die Versetzung der Rückwand in Richtung Foyer. Das Vorhaben scheiterte unter anderem am Denkmalschutz.

Zur Situation im Herkulessaal hat unsere Zeitung am Montag der Schlösserverwaltung einige Fragen übermittelt. Bis Redaktionsschluss konnten diese nicht beantwortet werden.
MARKUS THIEL

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