Erklimmen die „Mittelmäßigkeit des Mittelgebirges“ (v. li.): Konstantin Schumann, Stefan Merki, Annika Neugart sowie Lucy Wilke (v.). © Julian Baumann
Wie trauert man angemessen über den Tod von Freunden oder Angehörigen? Wie lernt man den Umgang mit Unglück und Tod? Das Theaterstück „Gigantische Einsamkeit“ der jungen Schweizer Dramatikerin Paula Kläy erzählt sehr pointiert und knapp darüber, wie schwierig der Verlust von nahestehenden Menschen für viele heute ist, und wie sehr sie damit hadern, Empathie auszudrücken oder ganz generell Gefühle überhaupt noch zuzulassen. Und auch, wie perfide sich inzwischen eine ganze Industrie etabliert hat, die den Trauernden genau dabei helfen will. Am Mittwoch war die Uraufführung im Werkraum der Münchner Kammerspiele.
Es ist ein spannendes kulturgeschichtliches Phänomen unserer Zeit, dass das Sterben völlig an den Rand gedrängt wurde und in der Öffentlichkeit kein Thema mehr ist. Krankheit und Tod, früher selbstverständlicher Teil des Lebens, sind längst verschämt in die Privatheit des Einzelnen abgeschoben worden. Die Gesellschaft, dominiert vom allgegenwärtigen Schneller-Höher-Weiter, von permanenter Selbstperfektionierung und Gewinnmaximierung, findet weder Zeit noch Raum für Trauer. Eine Äußerung wie „Mein Beileid“ klingt immer hohl und falsch, egal wie häufig der Einzelne sie zuvor in verschiedenen Stimmlagen und Betonungen geübt hatte. Ein kleiner Roboterhund, Symbol für die Kommerzialisierung von Kümmernis und Unsicherheiten jeglicher Art, soll da helfen. Er habe angeblich stets die richtigen Worte für den Trauerfall. Tatsächlich versagt die KI in Hundeform allerdings vollends und faselt nur gebetsmühlenhaft und enttäuschend uninspiriert von der „Blüte im Sumpf“.
Trauer und Verlust, so lehrt dieser klar gesetzte, griffig argumentierende Abend unter anderem, sind vielleicht die letzten menschlichen Gefühle, die sich nicht mittels computergenerierter Optimierungsprogramme lindern lassen.
Kläy verschlingt zwei thematisch nahe Handlungsstränge rund um diese große Sprachlosigkeit über den Tod sehr organisch ineinander: In der einen Geschichte treffen sich vier Bewohner eines Mietshauses, als jeder unbemerkt in der Wohnung eines verstorbenen Nachbarn dessen Nachlass nach Brauchbarem durchstöbern will. Auf der Suche nach Kaschmirpullis und Bergstiefeln entspinnt sich ein Dialog. Sie erinnern sich an den Toten, tragen dabei ihre vermeintliche Trauer zur Schau und sprechen letztlich doch immer nur über sich selbst.
Regisseurin Rosa Rieck gelingen dank des großartigen Ensembles auf der bewusst reduzierten Bühne (Ausstattung: Katharina Quandt) beeindruckend markante Szenen. In denen leuchtet der scharfkantige Text von Paula Kläy, wie es in einer guten Satire sein sollte, immer wieder herrlich böse auf. Stefan Merki, Annika Neugart, Konstantin Schumann und Lucy Wilke schenken sich nichts beim Durchwühlen der Kartons und dem gnadenlosen Abrechnen miteinander. Am Ende kommen sie doch alle nie über die „Mittelmäßigkeit des Mittelgebirges“ hinaus, egal ob Mutter, Tochter oder Lebensgefährte, Busfahrer oder Philosoph.
Der zweite, deutlich ruhiger und reflexiver angelegte Handlungsstrang in „Gigantische Einsamkeit“ ist ein immer wieder unterbrochenes Vater-Sohn-Gespräch zwischen Samuel Koch und Paul Fontheim. Über den kürzlich verstorbenen Großvater sowie den nahenden Tod des Vaters, über den Lauf der Welt und die Folge der Generationen und über echte und geheuchelte Gefühle dazu. „Ich lege mir die Hand auf die Brust und spüre nichts“, wundert sich der Sohn einmal. Nur noch die Hand auf der Herdplatte, die schmerzt wirklich, scheint es. Der nur 60 Minuten lange und dennoch sehr intensive, beklemmende und anregende Abend sorgt auf alle Fälle dafür, dass das nicht so bleibt.
ULRIKE FRICK
Nächste Vorstellungen
am 27. und 28. Februar;
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