Rausch ohne Kater

von Redaktion

Die Münchner Philharmoniker kurven durch die US-Moderne

Souveräner Lotse: Brad Lubman probt mit Alice Sara Ott und den Münchner Philharmonikern. © Co Merz

Im letzten Drittel, als das Wasser gischtet, eine musikalische Wellenmaschine, die immer wieder gleich hohe Wogen an den Strand wirft, da grinsen sich die Kontrabassisten zu. Sie spielen zwar ständig Dasselbe. Aber irgendwann steigert sich das in einen rauschenden Swing. Wie fast immer bei Philip Glas, Jahrgang 1937, der mit seinen Endlosschleifen manchen Musizierenden in den Wahnsinn, das Publikum in die Ekstase treiben kann. Mit „Itaipú“, einem oratorischen Monumentalgemälde, malt sich Glass die Kraft des Wassers, den Staudamm an der Grenze zwischen Brasilien und Paraguay und die Geschichte der dort angesiedelten indigenen Bevölkerung aus.

Ein ungeheuer wirkungsbewusstes Werk, wie alles an diesem Abend. Die Töne sind nicht unbedingt schwer für den sehr präsenten Philharmonischen Chor, vertrackt ist die ZählArbeit, auch für die Münchner Philharmoniker. Und am besten ist, wie Dirigent Brad Lubman alles organisiert. Ein souveräner Lotse, ein glasklar taktierender Animateur, alle können sich bei ihm in Sicherheit wiegen. Mit trennscharfem Klang wird die Isarphilharmonie geflutet. Ein Rausch, nach dem kein Kater droht.

Es ist das zweite Konzert des „America“-Schwerpunkts in dieser Saison. Und es ist die Begegnung mit einer (klassischen) Moderne, die mit der lebertranigen Avantgarde Mitteleuropas wenig zu tun hat: Die ist ja gesund für den musikalischen Fortschritt, aber oft nicht genießbar. Durchzogen ist in den US-Werken der in jeglicher Hinsicht Neuen Welt alles vom Minimalismus. In seiner Zeitlupen-Ausprägung bei „Christian Zeal and Activity“ von John Adams, Jahrgang 1947. Ein Choral wird hier rein instrumental fast bis zur Unkenntlichkeit überdehnt. Bei den klangbewussten Philharmonikern sind diese meditativen Verlagerungen bestens aufgehoben, als bewusstes Störmanöver gibt es aus der Konserve den englischen Text eines Predigers. Was zeigt, wie sich nicht nur in diesem Werk Spirituelles und absolute Musik durchdringen, ja gegenseitig bedingen.

Richtig heiß läuft der Apparat beim Klavierkonzert von Bryce Dessner (geboren 1976). Der schrieb das Opus für Alice Sara Ott, die auch hier am Flügel sitzt. Das Klavier ist weniger Kommunikationspartner des Orchesters, sondern liefert erregte, bewegte Ornamente. Das Stück kurvt virtuos durch die Tonarten, alles ist raffiniert instrumentiert, zwei effektvolle Steigerungswellen schielen nach Applaus – wie seine Komponistenkollegen neigt sich da Dessner weit dem Publikum entgegen.

Alice Sara Ott könnte das kantiger, gemeißelter spielen. Doch die Rundung des Klangs nimmt dem Dreisätzer etwas von der Virtuosen-Attitüde, erdet ihn irgendwie. Zwischendurch beruhigt sich das Geschehen, was die Solistin mit pastelligem Spiel auskostet. Die „America“-Reihe wird mit einem Kammerkonzert an diesem Sonntag und nächste Woche mit Gastdirigentin Barbara Hannigan fortgesetzt. Dass alles mit dem Machtwechsel in Washington zusammenfällt: reiner Zufall. Und vielleicht ist diese Musik ja mit das Beste, was die USA gerade zu bieten haben.
MARKUS THIEL

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