Folianten dienen in der Schau als historische Belege. © ZI
Tommaso Piroli ließ sich 1801 inspirieren. © Privatbesitz
Michelangelo als Vorlage: Conrad Martin Merz nutzte 1789 Motive des Renaissance-Künstlers für Studien. © Privatbesitz
Mit korrigierter Nase – ganz ohne OP: Dieses französische Porträt Michelangelos aus dem 19. Jahrhundert kaschiert die Folgen einer Schlägerei im Gesicht des Künstlers. © Privatbesitz
Immer der Nase nach, heißt es jetzt im Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI). Denn die jüngste Ausstellung dieser weltweit renommierten Forschungseinrichtung widmet sich keinem Geringeren als Michelangelo (1475-1564) – der als Jugendlicher bekanntlich in eine körperliche Auseinandersetzung verwickelt wurde, bei der sein Nasenbein brach. Auweia! Darum lief das Renaissance-Genie sein Leben lang mit einer Boxernase herum, was ihm ein etwas robustes Aussehen verlieh.
Dies kam allerdings dem Kraftlackel-Ideal seiner Epoche durchaus entgegen, folglich wurde der Überkünstler schon zu Lebzeiten und lange danach in Porträts immer mit deutlich erkennbarer Bruchnase dargestellt. Ja, man kann sogar sagen, dass sich Michelangelos Boxer-Face fast zum Topos entwickelte: gerade die Deformation seines Antlitzes schien, nur scheinbar paradox, die formprägende Kraft des Künstlers auch in seiner äußeren Erscheinung zu verbürgen.
Aber jede Kulturepoche schaut bekanntlich durch die Brille ihres eigenen Zeitgeistes, wenn sie auf Historisches zurückblickt. Und so wurde im romantisch-empfindsamen 19. Jahrhundert die Nase Michelangelos auch ganz ohne plastische Chirurgie plötzlich „korrigiert“. Man zeigte sie nicht mehr eingedrückt, sondern markant hervorstechend, weil das dem „Image“ des melancholischen Genies eher entsprach, das damals en vogue war. Deutlich ist dies in der Ausstellung auf einem französischen Porträtgemälde zu sehen, dessen Schöpfer den Zeitgeschmack genau erschnupperte. Auch Guiseppe Longhi hatte den Braten schon 1815 gerochen: Er gab dem Ausnahmekünstler auf einem Kupferstich eine charaktervolle Adlernase. Und eine deutsche Porzellanminiatur zeigt ihn gar mit völlig unversehrter, besonders fein geschnittener Nase, mit der man ästhetische Witterung aufnehmen kann.
„Michelangelo 550! Bilder des ‚Göttlichen‘ in der Druckgraphik“ heißt die Schau zum 550. Geburtstag des Bildhauers, Malers und Architekten, die verfolgt, wie in den vergangenen 500 Jahren sein Porträt und sein Werk vor allem in der Druckgrafik reproduziert und damit teilweise einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wurden. Die Veränderungen in der Darstellung von Michelangelos Nase sind dabei nur ein – wenn auch buchstäblich hervorragendes – Beispiel für den rezeptionsgeschichtlichen Wandel durch die Jahrhunderte.
Ein anderes wären die Reproduktionen der Malerei in der Sixtinischen Kapelle: Hier wurde anfangs vor allem die Darstellung des Jüngsten Gerichts an der Altarwand in Grafiken wiedergegeben. Von den Deckenfresken waren es hingegen fast nur die Propheten- und Sibyllenbilder, die man in Drucken reproduzierte, während die heute viel berühmteren Szenen der Schöpfungsgeschichte weniger Interesse zu wecken schienen. Wobei nicht ganz auszuschließen ist, dass dies auch praktisch-technische Gründe hatte. Denn die monumentalen Propheten sind vom Boden aus sicher leichter zu kopieren als die vielfigurigen Historien der Erschaffung der Welt. Letztere traten bezeichnenderweise erst in den Mittelpunkt, nachdem 1869 „eine erste systematische Fotokampagne“ alle Fresken der Kapelle erfasste.
So bewundernswert der akademische Fleiß ist, mit dem das ZI diese Ausstellung erarbeitete – rein optisch scheint sie vielleicht nicht das Kulinarischste, was man dort jemals zu sehen bekam, zumal die gezeigten Drucke in alten Folianten meist doch eher als historische Belege denn als genuine Kunstwerke Bedeutung haben.
Insofern ist es sicher sehr empfehlenswert, eine der beiden kostenlosen Führungen durch die Ausstellung mitzumachen, die Ulrich Pfisterer, der Direktor des Zentralinstituts, anbietet: am 21. Januar und am 11. März jeweils um 11 Uhr im ersten Obergeschoss des Lichthofes. Einfach der Nase nach.
ALEXANDER ALTMANN
Bis 14. März
Mo.-Fr. 10-20 Uhr,
Katharina-von-Bora-Str. 10;
Eintritt frei.