Michael von Au als Bettlerkönig Peachum. © Bettina Stoess
Drehbühne der anderen Art: Das Schicksalsrad dreht sich für Mackie Messer (Nicolas Frederick Djuren). © Pedro Malinowski
Keine billigen Witze oder Wortspiele jetzt. Über einen vielleicht zahnlosen, bisslosen Abend (Haifisch, Zähne, Mackie Messer etc.). Über den Pausensekt der Premierengemeinde („erst das Fressen, dann die Moral“) oder ähnliche Schlagerzitate aus der „Dreigroschenoper“, von denen ja alle problemlos gegen jede Produktion des Stücks verwendet werden können. Zumal sich immer die Frage stellt: Ob sich der Kampfgeist dieses Thesentheaters nicht längst verflüchtigt hat? Ob sich also die Opernsatire von Bertolt Brecht und Kurt Weill nicht längst im Leerlauf um sich selbst dreht?
Einmal werden hier tatsächlich Pappkartons mit Parolen bemalt. Doch die haben Buchstabenfehler oder purzeln die Bühnentreppe hinunter. Sehr sinnbildlich ist das. Auch damit signalisiert am Staatstheater Nürnberg der inszenierende Chef: Wir machen uns einfach einen netten, amüsanten Abend. Und tatsächlich führt uns Jens-Daniel Herzog weit weg von Dramaturgenkrämpfen. Eine „Dreigroschenoper“ wie vor zwei Jahren in Dresden, die das braune Sachsen und seine Wahl thematisiert? In Nürnberg offenbar undenkbar.
Es wird also viel gelacht und zwischendurch applaudiert in dieser Premiere, für die sich Mathis Neidhardt (Bühne) und Sibylle Gädeke (Kostüme) ein historisierendes Setting ausgedacht haben. Gelegentlich tritt ein steppendes Pferd auf. Der Kanonensong wird später instrumental wiederholt und dient als Begattungsmusik für Mackie und Polly, die aus dem rhythmisch-schrillen Stöhnen gar nicht mehr herauskommen. Und beim Eifersuchts-Song, der das Pathos einer Opern-Arie entblößt, dreht Chloë Morgan als Lucy endgültig durch. Eine Naturkomikerin feiert hier ein Fest des Bizarrhumors, auf dem die Britin ihr penetrant rollendes R als Waffe gegen das übrige Personal einsetzt.
Als ob sich Brecht und Weill einmal in ihrem Künstlerleben danebenbenommen haben, um überdrehtes Boulevardtheater zu bieten, so bringt uns Jens-Daniel Herzog die „Dreigroschenoper“ nahe. Das ist wörtlich zu nehmen: Auf dem umbauten Orchestergraben rücken Darstellerinnen und Darsteller dem Parkett auf den Pelz. Der Abend frisst sich nie im Thesentext fest, hat (auch dank der Dialog-Kürzungen) Tempo und Rhythmus. Eine Art Vermenschlichung ist das, ein Schritt Richtung Klipp-Klapp-Theater mit liebenswürdigen Karikaturen. Doch das hat auch seinen Preis. Das Dreckige des Stücks bleibt auf der Strecke, in Nürnberg staubt es eher und schmutzt kaum. Dieses Soho ist ein Londoner Abstiegsviertel nach der Straßenreinigung. Die Bewohner sind keine abstoßenden Bettler, sondern eine gut situierte, aufgekratzte Mafia. Ähnliches im Orchestergraben. Dort sitzt eine Combo der Staatsphilharmonie unter Max Renne und liefert gepflegten Drive mit gelegentlichen Widerhaken.
Nicolas Frederick Djuren, ein sehr cooler, sehr junger Mackie Messer mit gelegentlich geblecktem Gebiss, ist fast querbesetzt. Für ihn haben sich Herzog und sein Team den besten Stunt ausgedacht. Auch hier gibt es eine Drehbühne, doch die ist hochkant gestellt. Die einzelnen Bilder erlebt man also in der Draufsicht. Zweimal vollführt sich dieses Varieté-Schicksalsrad mit dem festgeschnallten, teils kopfüber singenden Mackie eine 360-Grad-Rotation. Am Ende wird die Hauptperson wie ein schwarzer Messias im Zentrum des Rads gehenkt.
Wie es sich für die „Dreigroschenoper“ gehört, bedient sich das Opernhaus beim Schauspiel-Ensemble nebenan. Neben Nicolas Frederick Djuren ist Lisa Mies als Celia Peachum eine schneidend singende Matrone auf Speed. Als Gast und Bettlerkönig Peachum führt Michael von Au starke Präsenz, einen angewitterten Charakter und eine ebensolche Stimme ins Feld. Sobald Münchens früherer Theaterstar die Szene betritt, erregt er Aufmerksamkeit, auch weil er für den Text noch immer das beste Timing hat. Mezzosopranistin Corinna Scheuerle ist als Jenny à la Liza Minnelli fürs Laszive zuständig. Hans Kittelmann (Polizeichef) hat als Operntenor das Schauspiel-Gen, er übernimmt an einigen Folge-Abenden den Mackie.
Von der Münchner Theaterakademie hat sich Herzog, vor allem Choreograf Ramses Sigl eine kleine, angemessen impulsive Nachwuchstruppe geholt, die tanzt, singt und in Doppel- bis Dreifachrollen aktiv ist. Nachdem ein reitender Bote (es ist hier der Polizeichef) den fast toten Mackie begnadigt, treten alle nochmals an die Rampe. Messer-Song, Klatschmarsch zum finalen Applaus, das Publikum ist begeistert. Womöglich, so augenzwinkert der Nürnberger Abend, haben Brecht/Weill uns gar keine sozialkritische Opernparodie hinterlassen, sondern einfach ein sehr deutsches Musical.
Nächste Vorstellungen
am 27. Januar, 5., 8.,
14. und 16. Februar;
Telefon 0911/ 660 69 60 00.