„Wir atmen ein, und wir rasten aus“: „Metal-Health-Coach“ Alligatoah. © Hangen
Der Kulisse geht es schon nach einem Song an den Kragen. „Ich verringere eure Bildschirmzeit“, grollt Alligatoah und drischt mit dem Baseballschläger auf Monitor und Schreibtischlampe ein. Eben erst ist der Rapper und Sänger, der neuerdings Nu Metal macht, in Zottelmantel und Trainingshose, die weißen Tennissocken stecken in übergroßen Plüschpantoffeln, auf die Bühne in der gut gefüllten Olympiahalle gestürzt. Da setzt er in seiner als Großraumbüro angelegten Kulisse auch schon zur Zerstörung an. Die „Out of Office“-Tour ist eine therapeutische Abrissparty. Ziel: Stress abbauen, zur Mitte finden.
„Es sind harte Zeiten für Alligatoah-Fans, die keinen Metal mögen“, sagt Alligatoah. Aber da müssen sie durch. „Denkt ihr, mir macht das Spaß?“ Das diabolische Grinsen auf dem Gesicht von Lukas Strobel, wie Alligatoah bürgerlich heißt, lässt nur einen Schluss zu: Oh ja, auf jeden Fall macht ihm das Spaß. Später, so verspricht er, werden sie „die alten Songs spielen“. Doch erst mal möchte er sein Publikum anschreien.
Das gutturale Grollen dröhnt bei Liedern wie „Es kratzt“ überzeugend aus der Kehle. Die harten Gitarrenriffs und sehr präsenten Drums passen aber auch gut zum Mix aus Gesang und Rap, mit dem der 35-Jährige bekannt geworden ist. Nun bietet er sich eben als „Metal-Health-Coach“ an und nimmt den Drang zur maximalen Selbstoptimierung auf die Schippe. Gemeinschaftlich dehnen sich Sänger, Band und Publikum, „lassen Licht und Liebe rein“, um das innere Kind zu heilen. „Wir atmen ein, und wir rasten aus“, leitet er zur Meditation an. Die inneren Kinder in München feiern „Wer lacht jetzt“, „Ich fühl Dich“ und „Ich Ich Ich“. Natürlich ist das immer noch Alligatoah, auch wenn er rockig daherkommt.
Außerdem gönnt er denen, die wirklich kein Metal mögen, wie versprochen Lieder wie „Du bist schön“, „Monet“ und „Willst Du“. Und beschenkt seine Fans mit einer Brachial-Version von „Daylight in your Eyes“ der No Angels, deren Shirt er unterm Rolli trägt. Besser kann man eine Abrissparty nicht feiern: Am Ende ist vom Großraumbüro nicht viel übrig. Dafür haben Künstler und Publikum ihre Mitte gefunden und den Alltagsstress hinter sich gelassen.
KATHRIN BRACK