Der Neue zieht in seinen Bann

von Redaktion

Dirigent Lahav Shani begeistert mit den Philharmonikern

Die „schönen Stellen“ ausgekostet: Lahav Shani, der designierte Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, applaudiert Solistin Clara-Jumi Kang. © Tobias Hase / mphil

Er trägt keinen Frack, hält keinen Taktstock, schaut in keine Partitur. Und doch zieht Lahav Shani, der designierte Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, Orchester und Publikum gleichermaßen in seinen Bann. Dabei fürchtet er sich nicht vor dem Plakativen (Tschaikowsky) und gönnt Solistin und Zuhörern bei Mendelssohns Violinkonzert das Auskosten der „schönen Stellen“. Dennoch wirkt das nicht vordergründig, und es geschieht, bis ins Detail hineingehorcht, noch weit mehr, was die Zuhörer am Mittwoch in der Isarphilharmonie begeistert.

Da starten der Chef in spe und die Philharmoniker zunächst einmal mit einer Ouvertüre, die hier vermutlich noch niemand gehört hat: Louise Farrenc, 1804 in Paris geboren und bestens ausgebildet, komponierte sie als Vorstufe zur Symphonie. Mit heftigen Tutti-Schlägen beginnt die Einleitung recht dramatisch, bevor Shani temperamentvoll in den hurtigen Allegro-Teil überleitet. Trotz einfühlsam musizierter lyrischer Abschnitte überwiegt der fetzige Eindruck in diesem romantischen Opus und weckt Neugierde auf mehr.

Bei Mendelssohn verzaubert Clara-Jumi Kang die Zuhörer mit ihrer Stradivari aus dem Jahr 1702: Mit einem hellen, lichten Ton, der gleichwohl Substanz hat und die Violine im agogischen Miteinander mit dem Orchester stets präsent sein lässt. Neben hoher Virtuosität in den Ecksätzen (hohe Lage, Doppelgriffe, rasante Läufe) scheint Clara-Jumi Kang im Andante die Seele zu öffnen – die des Instruments wie die eigene. Das Publikum ist tief berührt.

In Tschaikowskys Fünfter dürfen die Philharmoniker noch einmal kräftig zulangen. Sie tun es mit großer Präzision, bei hohem Wohlklang und mit Freude, wie auf manchem Gesicht zu sehen ist. So gelingt es Dirigent und Orchester, die Energie dieser Schicksals-Symphonie freizusetzen, große Bögen zu spannen, die Dynamik auszureizen, das thematische Material immer wieder neu zu beleuchten, Steigerungen hochzuschrauben, aber auch Eleganz und Raffinement aufscheinen zu lassen. Das butterweiche Horn-Solo zu Beginn des langsamen Satzes wird beim Schlussapplaus extra honoriert.
GARIELE LUSTER

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