Der Schmäh sitzt auch mit siebzig

von Redaktion

Rainhard Fendrichs „Wimpernschlag“: Rückschau und Zeitkritik mit Humor

In seinem bald 70 Jahre währenden Leben hat Rainhard Fendrich einige Schicksalsschläge erlitten. Seinen Humor hat er dennoch nicht verloren. © Marcel Brell

Gefühlt ist es doch erst einen Wimpernschlag her, dass Rainhard Fendrich eine innige „Zweierbeziehung“ führte – die dann nach einer Havarie auf dem Autofriedhof endete. 25 war er damals, bei seinem ersten Hit 1980. Jetzt wird der Fendrich 70, am 27. Februar. Auf seinem fabelhaften neuen Album „Wimpernschlag“, das am heutigen Freitag erscheint, blickt er zurück. Doch viel lieber schaut er immer noch nach vorn. Er singt gegen Populisten an, lädt Putin auf ein, zwei Stamperl Wodka ein. Und er macht sich noch einmal mit unvergleichlichem Wiener Schmäh auf den Weg über den Brenner, im „Nachtzug nach Jesolo“.

Altersweises Werk mit jugendlichem Elan

Wer wissen will, was Rainhard Fendrich heute umtreibt, muss sich nur die 16 Lieder der neuen Platte anhören, auf deren Cover er gleich doppelt zu sehen ist. Rainhard, der Ältere, blickt neben Rainhard, dem Jüngeren, in die Kamera. Und wenn sie könnten, hätte der bald 70-Jährige dem 25-Jährigen einiges zu erzählen. Über das Leben und die Liebe, über Ängste und Verluste.

Weil das nicht geht, singt Fendrich darüber, in einem altersweisen Werk mit jugendlichem Elan. Dass am Ende alles gut werden kann, daran lässt er gleich zum Auftakt in der Mutmach-Hymne „Wir sind am Leben“ keinen Zweifel: „Solang noch wer das Schweigen bricht, sind wir am Leben.“ Doch dafür müssen die Menschen ihre Stimmen erheben, in Österreich, überall auf der Welt. „Österreich ist wieder das Naziland“, beklagt Fendrich in einem Interview. He is from Austria. Und es bereitet ihm Sorgen, sein Österreich.

Doch er schafft es nach wie vor meisterlich, schwere Themen leichtfüßig zu verpacken, wie in „Schöne Aug’n“. Die lässig swingende Schwärmerei entpuppt sich als spitzfindige Kritik an einer Politik, in der fesche Fotos auf Wahlplakaten wichtiger sind als Substanz und Inhalt. „Man kann auch mit den schönsten Aug’n ein riesengroßes Gfrast sein.“ (Die Übersetzung aus dem Wienerischen erübrigt sich).

Beim Wodka mit Putin vermutet der Sänger auch in der Brust von Diktator Wladimir „sicher irgendwo a Herz“ – um sich flugs zu korrigieren: „Des war a Scherz.“ Rainhard Fendrich singt über die Wunden, die seine wenig erbauliche Kindheit und Jugend geschlagen haben („Nie wieder jung sein“), und anrührend über den Verlust seiner Tochter Theresa im Kleinkindalter: „Das Herz schlägt weiter, immer weiter.“

Zwischendurch packt er wieder die Fendrich-Reime aus, die ihm seit 45 Jahren unnachahmlich aus der Feder fallen. Da reimt sich der „Nachtzug nach Jesolo“ auf „Sie hat gesagt, sie ist eh solo. Aber ihr Freund war ned weit.“

Fendrich ist der Letzte der Austria 3

Im Lied von der „Warteschleife“ wiederum hadert er mit der depperten Dudel-Musik von Telefon-Hotlines, die ein Sinnbild des Lebens sein können. Denn mancher wartet sein Leben lang.

Für Rainhard Fendrich gilt das keinesfalls. Er ist längst der „Last Man Standing“ der Austria 3. Georg Danzer, der Schurli, ist seit 18 Jahren tot. Wolfgang Ambros, Rainhards ewiger Feindfreund, ist zwar nur drei Jahre älter, hat aber keine Kraft mehr für neue Lieder.

Nur der Fendrich ist noch da. „Meine Zeit wird nun immer kostbarer“, spürt er. „Aber ich habe keine Panik.“ Ganz im Gegenteil, er hat große Pläne. Fürs Konzert am Mittwoch, 16. April, in der Münchner Olympiahalle verspricht er: „33 Lieder wollen wir spielen. Das hat schon fast Bruce-Springsteen-Dimensionen.“ München darf sich freuen auf „45 Jahre Live“, auf eine Wiener Zeitreise mit der „Austria 1“.
JÖRG HEINRICH

Rainhard Fendrich:

„Wimpernschlag“
(RFJ Musik/Universal).

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