Düster gestimmt: Superstar The Weeknd thematisiert auf seinem neuen Album die Vergänglichkeit. Was nicht heißt, dass man dazu nicht tanzen kann. © Eddy Chen
Wow, da hat einer sein Pop-Handwerk gelernt. „Hurry up tomorrow“, das neue Album des kanadischen Superstars The Weeknd, beginnt mit dem ultimativen Drama. Der 34-Jährige singt mit zitterndem Timbre von dem großen Dunkel, das nach dem Tod auf uns wartet. „Kein Leben danach, keine andere Seite. Alles, was ich habe, ist mein Vermächtnis.“ Die Keyboardflächen schwellen zu einem Brausen an – und dann gehen die bunten Lichter an, das Lied schlägt ab Minute zwei einen Haken Richtung Dancefloor und klingt plötzlich wie ein Amalgam aus allen Hits, die Michael Jackson in den Achtzigern hatte.
Das Wahnsinnspathos („mein Vermächtnis!“) mal außen vor gelassen: Das ist einfach ganz hervorragend konstruiert. The Weeknd lässt sich vom Klangbastler-Team Justice, Oneohtrix Point Never und Mike Dean eine schon fast unbarmherzige Funk-Breitseite auf den Leib schneidern, in der sogar ein Fingerschnippen knallt wie ein Gewehrschuss. Doch dabei bleibt’s nicht. Abel Tesfaye, so sein bürgerlicher Name, hüpft von hier an zwischen den Genres hin und her wie Bugs Bunny. Sein Name ist Hase, und er hat’s noch drauf.
Was gar nicht so klar war. Denn „Hurry up tomorrow“ hat zwar immer noch große Erwartungen zu erfüllen – schließlich hat Tesfaye mit „Can’t feel my Face” und „Blinding Lights” die meistgestreamten Songs auf Spotify im Portfolio. Doch das Album kommt auch nach einer deutlichen Coolness-Delle, mit Kontroversen um seine Teilnahme an der TV-Show „The Idol“ und einem Mangel an üblicher allgemeiner Begeisterung für einige seiner neueren Singles. Ist ihm die Kreativität flöten gegangen? Jedenfalls sagt er, dass diese Platte, die eine Trilogie von 80er-Jahre-inspirierten Projekten abschließt (nach „After Hours“ von 2020 und „Dawn FM“ von 2022) seine letzte als The Weeknd ist.
Als Duettpartnerin hilft ihm Lana del Rey beim Verzweifeln
Um es gleich zu sagen: Von Kreativitätsverlust ist hier keine Spur. Im Gegenteil, einige dieser 22 Songs zeigen sogar richtig Mut. Etwa „São Paulo“, der nicht nur mit einem recht verstörenden Video aufwartet (es zeigt eine maskierte Schwangere, die sich auf einem Auto räkelt, während ihr Bauch singt), sondern auch mit derben Synthesizer-Kaskaden feuert, bis im Refrain das typische The-Weeknd-Falsett für Erlösung sorgt. Dass er das Lied mit dem ironischen Hilferuf „I can‘t fucking sing“ einleitet, ist natürlich Koketterie.
Auch anderswo kommt wieder das patentierte R’n‘B-Träumerle zum Vorschein – etwa in „Baptised in Fear“. „Open Hearts“ suhlt sich dann wieder im Achtziger-Klangbad, auch in „Cry for me“ klingeln die Keyboards. Und „Reflections Laughing“ wartet nicht nur mit einem Gastauftritt von Travis Scott auf, sondern auch mit einem für The Weeknd recht untypischen Instrument: einer akustischen Gitarre.
Der Grundton der Platte ist düster. In „Given up on me“, einer sechsminütigen Elektropop-Suite, barmt der Sänger: „It’s too late to save me.“ Und in „The Abyss“ teilt er uns ganz herzzerreißend mit: „Ich ertrinke in derselben Wanne, in der ich schwimmen gelernt habe.“ Als Duettpartnerin hilft ihm Lana del Rey beim Verzweifeln.
Auf die lange Distanz mag das ein bisschen arg viel Drama sein. Aber egal, ob The Weeknd eine Zukunft hat oder nicht: Um sein Vermächtnis muss er sich mit „Hurry up Tomorrow“ keine Sorgen machen.
JOHANNES LÖHR
The Weeknd:
„Hurry up Tomorrow“ (Universal).