Noch kann sie lächeln: Marianne Faithfull als junge Sängerin im „Swinging London“. © afp
„Der Himmel und die Hölle existieren, und zwar hier auf der Erde. Ich weiß, wovon ich spreche“. Was Marianne Faithfull einmal so salopp formuliert hat, fasst ihr Leben tatsächlich recht prägnant zusammen. Sie ist ein Teenager, gerade mal 17, als sie berühmt wird. Nicht einmal zehn Jahre später lebt sie drogenabhängig buchstäblich auf der Straße und gilt als Inbegriff einer moralisch verkommenen Person. Immer wieder feiert sie Comebacks, immer wieder versinkt sie im Drogensumpf. Oft ist sie pleite und muss bis ans Lebensende Konzerte geben, obwohl sie gesundheitlich schwer angeschlagen ist.
Dabei beginnt alles wie ein Märchen. Faithfull, die sich gerade für Musik begeistert und über eine bemerkenswerte Stimme verfügt, trifft 1964 auf einer Party den berühmt-berüchtigten Andrew Loog Oldham, Manager der damals noch nicht besonders bekannten Rolling Stones. Loog Oldham hat sich in den Kopf gesetzt, zu beweisen, dass seine Schützlinge ebenso gute Komponisten sind wie die Beatles, seit er erfahren hat, wie viel Geld mit Songrechten zu machen ist. Also weist er Mick Jagger und Keith Richards an, dem jungen Mädchen einen Hit auf den Leib zu schreiben. Er sieht in Faithfull einen „Engel mit großen Brüsten und einem Gesicht, das man verkaufen kann“.
Loog Oldham hat seinen schlechten Ruf zu Recht, wie die Aussage belegt. Aber die Übung gelingt, „As Tears go by“ macht aus Faithfull über Nacht einen Star, es folgen weitere Hits und ein aufregendes Leben im pulsierenden „Swinging London“, damals das Epizentrum der populären Kultur. Bald steht sie auch erfolgreich vor der Kamera, verkehrt mit den Berühmten und Reichen und macht, was alle anderen damals auch machen: Drogen konsumieren, und zwar in rauen Mengen. Das Problem: Faithfull ist frisch verheiratet, als sie durchstartet, und seit 1965 Mutter eines Sohnes. Eigentlich, sagt sie später, wollte sie gar keine Affären und sich nur auf ihre Arbeit konzentrieren. „Aber ich war zu hübsch, um von Männern in Ruhe gelassen zu werden.“
Das exzessive Partyleben und die öffentlichkeitswirksame On-off-Romanze mit Mick Jagger lassen ihr Ansehen rapide sinken. Was Faithfull auch Jahrzehnte später aufregt. Ein Mann, der über die Stränge schlägt, gilt als glamourös, eine Frau ist sofort eine verruchte Schlampe. Als die Polizei Faithfull nach einer Drogenrazzia in Keith Richards Haus nur mit einem kleinen Teppich bekleidet abführt, ist ihr Image endgültig ruiniert. „Nichts bereitet einen darauf vor, mit 19 seine Reputation zu verlieren“, fasst Faithfull diese traumatische Erfahrung später zusammen.
Der maßlose Drogenkonsum, eine Fehlgeburt, die aufreibende Beziehung mit Jagger, der Entzug des Sorgerechts für ihren Sohn sind zu viel, Faithfull engleitet die Kontrolle über das eigene Leben. Ihre Karriere ist vorbei, ihr Wille gebrochen, Anfang der 70er haust sie als obdachloser Junkie auf der Straße, viele glauben, sie sei schon tot. Immer wieder versuchen Freunde ihr zu helfen, aber Faithfull sabotiert sich mit großem Geschick selbst, so oft es geht. David Bowie will 1973 eine Platte für sie produzieren, Faithfull flüchtet. Und ruiniert mit Zigaretten, Alkohol und Drogen ihre Stimme geradezu systematisch.
1979 gelingt ihr dann wider Erwarten mit dem sehr persönlichen Album „Broken English“ und einer komplett veränderten Stimme ein triumphales Comeback. Faithfull ist wieder gefragt – und verfällt erneut den Drogen. Zwei Jahrzehnte lang pendelt sie zwischen Himmel und Hölle, oft sieht es so aus, als würde ihr Selbstzerstörungswille die Oberhand behalten. Erst als sie nach Paris übersiedelt und endgültig den Drogen abschwört, nimmt ihre Karriere Fahrt auf.
Ironischerweise mit Auftritten in Kinofilmen, obwohl Faithfull die Schauspielerei nicht sehr mag und sich selber auch nicht überzeugend findet. Regisseure, Kritik und nicht zuletzt das Publikum sehen das völlig anders. 2007 ist sie für ihre wunderbare Darstellung in „Irina Palm“ für den Europäischen Filmpreis nominiert, und bis zuletzt wird sie für hochkarätige Projekte engagiert, etwa für den Science-Fiction-Erfolg „Dune“. Finanziell ist es dennoch oft eng, Faithfull tourt immer mal wieder, immer mal wieder werden Auftritte abgesagt, weil sie angeschlagen ist. Sie übersteht eine Krebserkrankung, wird beinahe ein Opfer der Coronapandemie – und jedes Mal kommt sie zurück.
Immerhin: Im Alter wird Faithfull ausgeglichen und beginnt, das Leben schön zu finden. „Früher war ich einfach nur wütend.“ In ihren Liedern verarbeitet sie immer wieder Autobiografisches, über die Vergangenheit, insbesondere die Sixties, mag sie nicht mehr reden. Und schon gar nicht über Mick Jagger. Als ein Journalist sie einmal in ihrer Pariser Wohnung besuchen darf und fragt, weshalb auf dem Klo ein Foto von ihr und Jagger hänge, antwortet Faithfull: „Weil es der richtige Ort dafür ist.“
Marianne Faithfull, die mindestens einmal durch die Hölle und zurück gegangen ist in ihrem Leben und sich doch nie hat unterkriegen lassen, ist nun mit 78 Jahren gestorben. Mick Jagger hat öffentlich seine Trauer bekundet und geschrieben: „Sie war eine wunderbare Freundin, eine wunderschöne Sängerin und eine großartige Schauspielerin“.
ZORAN GOJIC