Entdeckt im jugendlichen Laienensemble von „Resi für alle“: Lina Fritzen (li., hier mit Hanna Scheibe und Hannah Chioma Ekezie) beeindruckt in „Daddy“ als Träumerin und Kämpferin mit zahlreichen Facetten. © Adrienne Meister
Keiner hat Zeit für Mara (Lina Fritzen). Die älteren Schwestern (Hannah Chioma Ekezie, Felicia Chin-Malenski) klauen dem Vater lieber die BierVorräte und verschwinden zum Partymachen mit den Freunden. Der Vater (Simon Zagermann) arbeitet bei einer Wach- und Schließfirma und muss bei jedem Anruf des Chefs sofort springen. Sogar vom sonntäglichen Grillvergnügen mit Freunden verschwindet er bald. Die Mutter (Hanna Scheibe) ist Krankenschwester und nach ihren Schichten stets so erschöpft, dass sie kaum noch etwas wahrnimmt. Die Probleme der jüngsten Tochter Mara ebenso wenig wie die Affäre des Gatten.
Die 13-jährige Mara stört sich wenig an alledem. Sie lebt ausschließlich für ihre Zeit vor dem Computer, spielt rund um die Uhr unterschiedliche Games. In diesen Gemeinschaften mit anderen Spielern fühlt sie sich gesehen und geschätzt. Besonders glücklich ist sie, wenn sie mit Julien (Moritz Treuenfels) gemeinsam zocken kann. Der ist angeblich 27 Jahre alt und Tech-Millionär. Mit clever gestreuten Komplimenten nimmt er das Mädchen unwiderruflich für sich ein. Er erkennt ihr vermeintlich großes schauspielerisches Talent und verspricht ihr das Blaue vom Himmel. Unter anderem, eine große Schauspielerin zu werden. Aber „das Kino und das Theater, dieses ganze Lebendige in der Kunst, das ist doch alles tot“, behauptet Julien kühn, und Mara nickt nach einem kurzen Zögern dazu. Er umsäuselt sie, als Avatar an dem neuartigen Computerspiel „Daddy“ teilzunehmen.
Mit Juliens finanzieller Hilfe steigt sie dort schnell in die höchsten Level auf. Mit jedem Level steigt Maras Popularität in einer nicht weiter definierten Gamer-Gemeinschaft und damit ihr Selbstbewusstsein. Auf die große Begeisterung über diesen Erfolg folgt das grenzenlose Vertrauen gegenüber der Sugardaddy- und Ersatzvater-Figur Julien.
Bald schon ist das Spiel „Daddy“ mit seinen Szenen aus „La La Land“ oder „Interview mit einem Vampir“ nicht mehr unterhaltsam, poppig bunt und harmlos wie ein Hollywoodfilm, sondern regelrecht durchtrieben in seiner Perfidie und in jeder Hinsicht grenzüberschreitend.
Die französische Bühnenautorin Marion Siéfert hat mit ihrem Co-Autor Mathieu Bareyre zusammen das digitale Leben unserer Gegenwart genau analysiert. Die Einsamkeit und naiv-arglose Bedürftigkeit vor allem jüngerer Menschen, die Denkfaulheit und Bequemlichkeit oder auch einfach nur die Erschöpfung und Ahnungslosigkeit der Älteren – dazu die immer durchdachteren Methoden der Missbrauchenden, die diese verhängnisvollen emotionalen Gemengelagen für sich auszunutzen verstehen.
Für die deutsche Erstaufführung von „Daddy“ im Marstall des Münchner Residenztheaters hat Regisseurin Daniela Kranz das Drama um die digitalen Untiefen unserer Zeit ein wenig gestrafft. Aber dennoch mit viel Umsicht ausgelotet. Die zu Beginn extrem jungmädchenhaft erscheinende Lina Fritzen, für die „Daddy“-Premiere im jugendlichen Laienensemble von „Resi für alle“ entdeckt, beeindruckt als facettenreiche Träumerin und Kämpferin.
Die zweigeteilte Bühne von Lisa Käppler gibt ihr und den übrigen Schauspielenden viel Raum. Auf der linken Seite befindet sich anfangs ausschließlich die virtuelle Welt des Spiels mit einem riesigen Monitor.
Auf der rechten Seite findet zu Beginn das reale Leben Maras statt, das für sie die altersgemäßen Enttäuschungen eines typischen Teenagerlebens bereithält und dem beim bodenständigen Würstchengrillen mit den Eltern jeglicher Glamour fehlt, von dem das Mädchen träumt.
Irgendwann vermischen sich die Seiten, dringen die virtuellen Charaktere in die Wirklichkeit hinein, die wiederum immer leerer wird. Alle übernehmen mehrere Rollen, und jeder Wechsel ist überzeugend gelungen. Besonders begeistert neben Lina Fritzen an diesem Abend das intensive Spiel von Simon Zagermann, der als Vater die Unbeholfenheit des Erziehungsberechtigten verkörpert, ehe er als schmieriger Computerspiel-Erfinder „Big Daddy“ blutjungen Mädchen nachstellt.
ULRIKE FRICK
Nächste Vorstellungen
am 4., 14. Februar sowie
am 16. und 20. März;
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