Geburtstagsgeschenk für alle

von Redaktion

In München wurde die Annette-Kolb-Gesellschaft gegründet

Kleine Dame, große Literatin: Annette Kolb (1870-1967) hier auf einer Aufnahme aus den Fünfzigerjahren. © dpa/PA

Sie hat ihre Geburtsstadt mitunter so wunderbar porträtiert wie in ihrem Roman „Die Schaukel“, der 1934 erschienen ist. „München gleicht einer gefeierten Frau, lächelnd ihrem Triumph hingegeben, sie war heiter, feiertäglich und international wie keine zweite“, schreibt Annette Kolb da an einer Stelle. Doch trotz derartiger Liebeserklärungen ist die Schriftstellerin, Tochter des Gartenarchitekten Max Kolb und der Pianistin Sophie Danvin aus Paris, nur mehr Literaturfreaks und Bavarica-Kundigen wirklich ein Begriff. Vielleicht weiß man gerade noch, dass Thomas Mann sie in seinem „Doktor Faustus“ porträtiert hat – und das ziemlich herablassend.

Aber ihr Werk? Kaum noch gelesen. Ihr Pazifismus? Ihr überzeugtes Eintreten für die Vernunft und die Völkerverständigung gerade während des Ersten Weltkriegs? Möglicherweise ab und an Thema in Seminaren. Annette Kolb, die 1870 geboren wurde und 1967 ebenfalls in München starb, ist weitgehend vergessen. Das ist ein grober Fehler. Und es ist ein Grund zum Jammern. Oder?

Von wegen. Es ist ein Auftrag, diesen bedauerlichen Zustand rasch zu beenden und diese – nicht nur für Bayern – wichtige Autorin, Weltbürgerin und Pazifistin zurückzuholen ins öffentliche Bewusstsein. Darum kümmert sich fortan die Annette-Kolb-Gesellschaft, die sich am vergangenen Montag, dem 155. Geburtstag der Namensgeberin, in München gegründet hat. Ein Glücksfall – für die Literatur und die Stadt.

Ziel der Gesellschaft ist es, das „Leben und Werk der Schriftstellerin, Pazifistin und deutsch-französischen Intellektuellen einem interessierten Publikum – insbesondere jungen Menschen – zugänglich zu machen“, teilt die Monacensia, das literarische Gedächtnis Münchens, mit. Weiter heißt es: „Kolbs intellektuelle Eigenständigkeit, ihr scharfsinniger Blick auf gesellschaftliche Konventionen, ihr unerschütterliches Engagement für Völkerverständigung und ihr Widerstand gegen den Nationalsozialismus machen sie zu einer Identifikationsfigur weit über ihre Zeit hinaus.“

Gegründet wurde die Annette-Kolb-Gesellschaft von Cornelia Michél, der Urgroßnichte der Autorin, sowie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus München, Eichstätt, Innsbruck, Zürich und Athen sowie Studierenden der Germanistik. Neben dem Münchner Literaturhaus und der Arbeitsstelle für Literatur in Bayern der Ludwig-Maximilians-Universität unterstützt auch die Monacensia das Projekt. Dort wird nämlich Kolbs Nachlass – mehr als 150 Manuskripte, 1800 Briefe und zahlreiche Fotografien – aufbewahrt. Im Herbst will die Gesellschaft, deren Sitz im Literaturhaus ist, zu einer ersten öffentlichen Tagung zu Annette Kolb einladen.

Die Autorin war übrigens nicht nur eine wichtige literarische Stimme in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ihr Rückgrat, ihr Engagement für die deutsch-französische Freundschaft und ihre klare politische Haltung zwangen die gewissenhafte Beobachterin der Zeitläufte mehrfach ins Exil: Während des Ersten Weltkriegs floh sie in die Schweiz, 1933 nach Paris und 1941 in die USA – damals war sie bereits 71. Die Nazis verboten und verbrannten ihre Bücher.

Nach der Befreiung Deutschlands ging Annette Kolb zunächst nach Paris, zog über Irland nach Basel, Genf und Badenweiler. Im Jahr 1961 kehrte sie in ihre Vaterstadt zurück. Und hier begann an ihrem 155. Geburtstag ihre Wiederentdeckung. Welch schönes Geschenk!
MICHAEL SCHLEICHER

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