Der Kaiser hat einen Lauf

von Redaktion

Neues Album „Marathon“: Der große Sänger nähert sich der Zielgeraden

Bleibt souverän in der Spur: Roland Kaiser verströmt auch auf der Tartanbahn zeitlose Eleganz. © Paul Schirnhofer

Gegen die Wegstrecke, die Roland Kaiser in seinen 72 Jahren Leben zurückgelegt hat, sind 42,195 Kilometer der reinste Sprint. Findelkind, Autoverkäufer, Hitparaden-Regent, Lungenpatient. Mittlerweile gibt es ihn auf Briefmarke und als Wachsfigur. Mehr Legende geht nicht, zumindest nicht in Deutschland. Nur eines hat sich in all den Jahrzehnten nicht geändert: Der Mann ist nach wie vor maximal amourös unterwegs, zumindest in Gedanken. Auch auf seinem neuen Studioalbum „Marathon“, das heute erscheint, lockt wieder ewig das Weib – so wie auf den 28 Platten davor seit 1976. Selbst wenn „das Leben Falten wirft“, wie er singt: Roland Kaiser bleibt der Berliner Schlawiner.

„Man ahnt oft nicht, wie man danebenliegt, denn heute liegst Du neben mir“, doppeldeutet er im amüsanten Country-Ausflug „Länger als gedacht“ als Gunter Gabriel der Neuzeit. Und er gibt sich den Damen nach wie vor liebend gern hin, der Bonvivant. Auch wenn sie kapriziös sind, wie im Ohrwurm „Liebe darf das“: „Sie weiß dich zu dressieren wie einen kleinen Hund. So folgst du jedem Wort aus ihrem süßen Mund.“ Das könnte albern wirken, mit über 70 – aber genau so will man ihn doch hören, den Langzeit-Kaiser.

Nicht zu überhören ist aber auch, dass es sich der notorische Schwerenöter gemütlich eingerichtet hat in seiner Komfortzone. Das neue Album klingt wie die drei Gold- und Platin-Platten davor. So experimentierfreudig Roland Kaiser über all die Facetten der Zweisamkeit singt, so sehr auf Nummer sicher gehen er und seine Produzenten beim Aufnehmen von Musik.

„Bei meinem kreativen Schaffen im Studio orientiere ich mich ganz klar an den großen amerikanischen Produktionen“, behauptet Kaiser zwar. Und mitproduziert hat der schwedische Soundtüftler Michael Ilbert, der schon für Taylor Swift oder Adele an den Reglern geschraubt hat. Doch dann sind in hübschen neuen Mitsing-Popschlagern wie „Ich werde da sein“ oder „Wenn man fühlt“ doch wieder die immergleichen Hopsasa-Synthies zu hören, die auch in die Hits von Andrea Berg, Michelle oder Beatrice Egli einprogrammiert sind.

Und dass der Komfortzonen-Kaiser trotz seiner laut Plattenfirma „kreativen Höchstform“ das Songschreiben mittlerweile komplett „den jungen Leuten überlässt“, wie er sagt, fördert nicht die Authentizität. Wenn er sich lobenswerterweise für „Achtung und Respekt“ im Umgang miteinander einsetzt oder wenn er sich fragt, was aus seinen Kindern wird, „wenn ich nicht mehr da bin“ – dann wäre das glaubwürdiger, wenn es seine eigenen Gedanken wären und nicht die von hoch bezahlten Lohnschreibern.

Trotzdem machen die „jungen Leute“ wie Maite Kelly, Eric Philippi, Dan Sommer oder Matthias Hass natürlich einen prima Job auf einem erneut hörenswerten Kaiser-Album. Ein perfekter Hit für die nächste Silbereisen-Show ist das schwer erotische „Auf den Dächern der Welt“: Er im Smoking, sie tief dekolletiert, „im Fahrstuhl der Liebe, zwei nächtliche Diebe“. In „Mein Geheimnis“ sorgt die exzellente Berliner Cellistin und Arrangeurin Lee Caspi mit gezupften Streichern für einen modernen Bond-Sound. Und am Ende wagt sich der Erotik-Routinier in „Was heut passiert“ zu einem Tango auf die Tanzfläche. Denn natürlich weiß er nach all den wunderbaren Jahren: „Manchmal kommt Lust vor Vernunft.“
JÖRG HEINRICH

Roland Kaiser:

„Marathon“ (Sony/Ariola).

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