Wahre Liebe

von Redaktion

Die Tutsek-Stiftung zeigt „Love, maybe“

Pixy Liao dekliniert Beziehungen mal ironisch, mal ernst. Hier ihre Arbeit „Door Stopper“. © Blindspot Gallery/Tutsek-Stiftung

Der Schönheit verfallen: Nan Goldins Fotografie „Cupid with his Wings on Fire“, die 2010 im Louvre aufgenommen wurde. © courtesy Marian Goodman Gallery and Alexander Tutsek-Stiftung

Dass Nan Goldin, längst berühmte Zeugin von Versehrtheit und Einsamkeit, der Schönheit und zarten Liebe verfallen könnte, hätte niemand gedacht – auch Eva-Maria Fahrner-Tutsek nicht. Genau aus diesem Grund hat die Patronin der AlexanderTutsek-Stiftung (Förderung von Kunst und Wissenschaft) und deren BlackBox im Norden Münchens das Foto der US-Amerikanerin für die Sammlung gekauft. Goldin erlag 2010 im Louvre dem Zauber einer Amor-und-Psyche-Gruppe, die wohl im Abendlicht feuerrötlich erstrahlte. Dieses Wechselspiel von Sex und Seele (aus dem 19. Jahrhundert) sieht das Publikum als Erstes, wenn es die Galerie betritt.

Damit sind die Motive der Schau „Love, maybe – Intimität und Begehren in der zeitgenössischen Kunst“ in der Vielschichtigkeit zwischen Venus und Caritas, Sinnlichkeit und Nächstenliebe bereits angedeutet. Jana Johanna Haeckel hat die Exposition im Rahmen des Förderprogramms „Junge Kurator*innen“ entwickelt. Zur Verfügung stand ihr jetzt sogar die doppelte Fläche (400 Quadratmeter), denn die BlackBox hat Büroräume im ersten Stock in eine Halle für die Kunst umgemodelt. So können sich die 240 Fotografien, Installationen und skulpturalen Objekte von 24 Künstlerinnen und Künstlern gut entfalten.

Gesellschaftliche Normen, kulturelle Traditionen, politische Intentionen bestimmen die Liebe mindestens genauso stark wie die Gefühle des Individuums. Darauf reagiert die Kunst. Während Goldin im Abschnitt „Intimität als gelebte Sensibilität“ auf ein historisches Ideal rekurriert, reißt beispielsweise Oliver Chanarins „Apparatus“ die Kluft zwischen Mensch und Maschine weit auf. Die vielen Aufnahmen, die eine Frau in all ihren Gefühlsschattierungen zeigen, werden von einem Paketstapel-Gerät emotions- und ruhelos aufgeschichtet, aufgenommen, an der Wand positioniert, abgenommen …

Im Kapitel „Wer betrachtet? Den Blick erwidern“ dekliniert etwa Pixy Liao Zweierbeziehungen mal ironisch, mal ernst. Da gibt es bei den Posen sowohl Beischlaf-Ödnis als auch die Pietà-Haltung. Monica Bonvicini greift energisch in die Männerdomäne ein. Sie zitiert Marcel Duchamps Kult-Objekt „Flaschentrockner“ übergroß, an den sie wiederum übergroße, rosige, schlaffe Präservative hängt. Die sind aus Glas und erinnern, genau, an Flaschen. In der Abteilung „Queeres Begehren“ bewegt am meisten das Schaffen Dayanita Singhs. Fotografisch und filmisch dokumentiert sie so respektvoll wie zärtlich das Leben des „Dritten Geschlechts“ in Indien.

Die wichtigste Werkgruppe der Ausstellung ist bei „Un/Sichtbar: Fürsorgliche Körper“ zu entdecken. Akosua Viktoria Adu-Sanyah beeindruckt nachhaltig, weil sie die gängige Strategie der Fotografie sprengt und neue Wege geht. Die Künstlerin hüllt in der Serie „Resilience“ ihren Vater, Blumen und anderes in rötlich schimmerndes Schwarz, flüchtet sich aber nicht ins Abstrahieren, sondern lässt die Abbild-Realität unangetastet. Die großen, scheinbaren Negative sind auf schwarze Bretter getackert oder dort mit Paketkleber befestigt. So entsteht ein zorniges Epitaph, das man spürt, selbst wenn man nicht wüsste, dass Adu-Sanyahs Vater gestorben ist nach einer missglückten OP in einem deutschen Krankenhaus.
SIMONE DATTENBERGER

Bis 17. Juli

So.-Do. 12-18 Uhr und an Feiertagen, Georg-Muche-Straße 4; Telefon: 089/55 27 30 60,
www.atstiftung.de; Katalog (Distanz Verlag): 34 Euro.

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