PREMIERE

Mensch, Gott!

von Redaktion

„Die Liebe der Danae“ von Strauss an der Bayerischen Staatsoper

Manuela Uhl rettete als Danae die Premiere. © Geoffroy Schied

Bestechender Singdarsteller: So souverän wie Christopher Maltman (Jupiter) steht am Premierenabend keiner über den Dingen. © Monika Rittershaus

„Qual“, „Menschenlos“, ein Strohlager statt Goldbett: Das ganze Verwünschungsarsenal fährt er Danae gegenüber auf. Götterroutine eben. Doch was wirklich in Jupiter vorgeht, das sieht man in den langen wortlosen Sekunden zuvor. Ein allmähliches Verstehen, ein Gemisch aus Verzweiflung und Erschrecken über die neue Rolle. Erstmals wird der dauerrallige Boss des Olymps nämlich verschmäht. Und so, wie das Christopher Maltman spielt und wie dieser Moment von der Regie ausgestellt wird, begreift man: Eigentlich geht es in diesen dreieinhalb Stunden gar nicht um die Titelheldin. Nicht umsonst heißt das Stück ja „Die Liebe der Danae“. Um eine herzinnigliche, ehrliche, bedingungslose Hingabe und Zuneigung geht es also. Um etwas, das Jupiter, dies erkennt er jäh, vielleicht nie liefern und leisten kann.

Welch Glück, dass der Bayerischen Staatsoper für diese Rolle Maltman zur Verfügung steht. Der muss sich keine Sekunde mit der unbequemen Partie und Lage mühen. Dafür führt dieser Bariton, der seine Karriere mit Mozart begann, mittlerweile viel Vokalerz ins Feld. Stimmumfang, Textbewusstsein, virile Kraft, Delikatesse in der Wort- und Klangbehandlung: So souverän wie Maltman steht an diesem Premierenabend keiner über den Dingen. Ein bestechender Singdarsteller, der (so ist es vom Komponisten ja beabsichtigt) viel von Wagners Wotan-Tragödie einbringt, aber auch vom Sehnen nach etwas Unwiederbringlichem: Mit seiner vorletzten Oper feiert Richard Strauss ein Fest der Zu-spät-Romantik. Ein fast trotziges Beharren auf Kulinarik, während zur Zeit der Komposition die Tschechoslowakei zerschlagen und Österreich einverleibt wurde, dabei eine Welt in den Abgrund taumelte. Auch davon erzählt übrigens diese Aufführung: wenn zur finalen Verklärungsmusik Strauss riesenhaft im Video auftaucht. Ein Spaziergang durch seinen Garmischer Park. Dort, wo sich der Meister seinen ganz privaten Eskapismus gönnte. Doch bleibt das wie vieles in dieser Inszenierung Anspielung, Allusion, manchmal auch nur doppelbödige Illustration. Wie nähert man sich also der schwer greifbaren „Liebe der Danae“? Vielleicht wirklich so wie Claus Guth.

Die Büro-Etage mit den Businesswesen, das Panoramafenster mit Blick auf eine Art Manhattan, Pollux mit Trump-Perücke (von Vincent Wolfsteiner mit nimmermüder Emphase gesungen), all das ist natürlich Verheutigung und Vernüchterung. Guth gewinnt mit Bühnenbildner Michael Levine und Ursula Kudrna (Kostüme) damit Fallhöhe zu den luxuriösen Klängen – und zum problematischen Libretto, in dem sich Joseph Gregor und sechs Co-Autoren auf eine Vorlage Hugo von Hofmannsthals als Antike-Nerds gefallen.

Das Entscheidende: Guth holt das Stück vom Kothurn, verkleinert es aber nicht. Goldzweig und -regen gibt es als sagenhafte Zitate. Mit dem riesigen Goldbett, vor dem sich Midas und Jupiter um Danae zoffen, gerät die Aufführung ins Augenzwinkernde. Erst recht mit Jupiters vier Verflossenen, die als Vorstadtweiber einherstöckeln. Den Altherrenhumor von Strauss & Co. münzt Guth um in eine sanfte Satire. Wie sehr Strauss sich in der „Danae“ auf eigene Werke, vor allem aber auf sein Idol Wagner stützte, wird auch deutlich – nicht nur mit dem resignierten Jupiter in schmutziger Kutte, ein Wiedergänger des „Siegfried“-Wotans. Die Rauchschwaden im Bankenviertel und das zerstörte Großraumbüro lassen an 9/11, ans Ende des Kapitalismus oder an den ultimativen Verfall der Zivilisation denken. Doch ist alles nie platt durchgeführtes Konzept. Viel ist also drin an diesem Abend und wird von der Regie doch in versierter, vielsagender Balance gehalten.

Dabei war die Premiere gefährdet. 24 Stunden zuvor der GAU, Malin Byström erkrankte und musste absagen. Kaum eine Sopranistin hat die Danae im Repertoire. Manuela Uhl, 2016 in Berlin letztmals mit der Rolle betraut, wurde aus der Hauptstadt eingeflogen. Und das Wunder: Sie traute sich nach kurzer Einweisung sogar zu, die Premiere nicht nur von der Seite zu singen, sondern auch zu spielen. Verdiente Ovationen für diesen Nervendrahtseilakt.

Doch wer von solchen Kollegen umgeben ist, fühlt sich wohl beflügelt. Der Gesang von Andreas Schager bleibt wieder Materialschau, imponierend und phonstark. Doch immerhin ist er einer der wenigen, die den Midas überhaupt in der Kehle haben. Die Klasse einer Aufführung und eines Hauses beweist sich bekanntlich in den mittleren und kleineren Partien. Auch hier alles vom Feinsten, man höre nur Ya-Chung Huang (Merkur), Sarah Dufresne (Semele), Evgeniya Sotnikova (Europa), Emily Sierra (Alkmene) und Avery Amereau (Leda).

Und: Es gibt kaum ein Ensemble, das Strauss so spielen kann wie das Bayerische Staatsorchester. Mit Sebastian Weigle steht zwar kein Filigrantechniker am Pult. Doch der Gast koordiniert, lotst, ermuntert, achtet auf organische Entwicklungen. Und er lässt sich nicht von der Partitur verführen. Dass manches trotzdem zu laut bleibt, ist auch ein Problem der zwar hyperverfeinerten, aber eben symphonisch gedachten Musik: eine zweite „Götterdämmerung“, mit der Richard Strauss, dies zu seiner (gelegentlich sympathischen) Egomanie, auch sich selbst meinte. Und so bleibt es am Ende nicht beim Gang des Meisters durch den Park. Guth zeigt auch Riesenvideos aus dem zerstörten München inklusive den Resten des Nationaltheaters. All das also, was Strauss auf seiner Weltflucht in die Mythologie ausblendete.
MARKUS THIEL

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