Recht züchtig wurde dieser Athlet in Rom verhüllt. © Imago
Hier gibt es nichts zu sehen: eine Statue in Florenz. © imago
„Hofnarr Prangerl“: Am Karlstor wird an Münchens letzten Hofnarren erinnert. © Gebhardt
Der letzte Hofnarr in der Münchner Residenz war Georg Pranger (1725-1820), von allen nur „der Prangerl“ genannt, was auf seine kleine Gestalt hindeutet. © Heinz Gebhardt
„Hamlet“, V. Akt, 1. Szene: „Ach, armer Yorick!“ Shakespeares Dänen-Prinz im Dialog mit den sterblichen Überresten seines geliebten Hofnarren. © imago stock
Viele Spielzeiten lang bestand sein Publikum nur mehr aus Theaterfans – kurzum aus allen Menschen, die sich für Kultur begeistern. Doch jetzt ist er zurück auf der ganz großen Bühne des Polit-Theaters: der – Tusch! – Hofnarr. Seit Bundeskanzler Olaf Scholz den Berliner Kultursenator Joe Chialo einen solchen genannt hat, elektrisiert die Figur wie zuletzt wohl 1936, als Gustaf Gründgens den Hamlet gab und dabei ganz tief in die leeren Augenhöhlen des Totenschädels seines geliebten Hofnarren Yorick blickte: „Ich kannte ihn, Horatio: einen Kerl von unendlichem Spaß, von der allerbesten Fantasie“, wie es in der ersten Szene des fünften Aktes in Shakespeares Drama heißt.
Und bitte: Vorhang auf für eine der attraktivsten Gestalten des Schauspiels, der Literatur, der Kunst – und der Geschichte. Im Scheinwerferkegel – des Theaters, nicht des Medienrummels! – wird rasch klar: Zum Politskandal taugt der Hofnarr nicht. Im Gegenteil.
Es ist jedoch konsequent, dass dieser Kerl jetzt die Sphären der Kunst verlassen und in den schnöden politischen Betrieb hinabgestiegen ist. Von dort nämlich kommt er, hier sind seine Wurzeln. „Kinder und Narren sagen die Wahrheit“ lautet eine alte Weisheit – die historisch begründet ist. Wohl im 14. Jahrhundert bildete sich das Hofnarrentum an den Fürstenhöfen heraus. Hofnarren waren „Offizianten“ und fester Bestandteil des Hofstaates. Wer glaubt, sie seien zum Gaudium der Herrschenden dagewesen, irrt gewaltig.
Im Gefüge der Macht hatten sie eine wichtige Aufgabe. Schließlich verloren die Potentaten (damals wie heute!) hinter dicken Mauern gerne das Gespür für alles, was die Menschen draußen vor den Toren von Burg oder Schloss umtrieb. Der Hofnarr erinnerte seinen Fürsten an dessen eigene Vergänglichkeit und an die Tatsache, dass auch er ein Sünder ist. Zudem sprach er all jene Wahrheiten aus, die Minister und Hofschranzen niemals auszusprechen gewagt hätten. Man denke nur an die Figur des königlichen Ratgebers Polonius im „Hamlet“! Der Hofnarr hatte im Wortsinne jene „Narrenfreiheit“, die im übertragenen Sinn längst Bestandteil unseres Sprachgebrauchs ist. Natürlich erfuhr der Regent so auch, was das Volk (und sein Hofstaat) über ihn dachte. Ursprünge dieses Jobs lassen sich bereits im Römischen Reich finden: Heimgekehrt vom Krieg hatte der Kaiser bei seinem Triumphzug einen Sklaven (der oft hässlich, also irgendwie komisch aussah) im Rücken, der lediglich einen Satz zu sagen hatte: „Memento mori“ – Bedenke, dass du sterblich bist!
Der letzte Hofnarr in der Münchner Residenz war übrigens Georg Pranger (1725-1820), Rufname „der Prangerl“. Sein Körperwuchs war eben eher gedrungen. Der kleine Mann mit großem Ego war Musikant, konnte mehrere Instrumente spielen und unterhielt die Münchner in der „Cafféschänke“ des Giovanni Pedro Sardi am Hofgarten. Prangers Humor stammte aus der unteren Etage – dass er überhaupt hoffähig wurde, lag an Kurfürst Max IV. Joseph, seit 1806 König Maximilian I. von Bayern.
Für den „Prangerl“ hätte man sich also gerne ein „Feigenblatt“ gewünscht. Auch dieses botanische Detail hat Scholz in der Charakterisierung Chialos benutzt. Der Kanzler geht da noch weiter in der Menschheitsgeschichte zurück, nämlich bis zu Adam und Eva. Als die vom Baum der Erkenntnis naschten, merkten sie, dass sie nackt sind. Sie griffen nach dem, was der Garten Eden hergab – und bedeckten ihre Blöße mit Feigenblättern. Genesis, Kapitel 3, berichtet es. Fortan wird das Blattwerk der Ficus carica als Metapher dafür genutzt, um moralisch Angreifbares, Obszönes oder Unangenehmes zu verbergen.
Was darunter zu verstehen ist, darüber gehen seit jeher die Meinungen auseinander. Was den alten Griechen und Römern schön und heilig und vollkommen natürlich (also wurscht) war, trieb etwa der christlichen Kirche die Schamesröte ins Gesicht. Manch antike Statue bekam im Nachhinein ihr Feigenblatt verpasst. Dem Maler Daniele da Volterra (1509-1566) brachte diese kirchliche Zensur gar einen lukrativen Job ein: Pius IV. fühlte sich gestört von all der blanken Haut in Michelangelos „Das Jüngste Gericht“ – Daniele wusste Rat und wurde fortan als „Hosenmaler“ verspottet.
Zurück ins Berlin der Gegenwart: Dass der Politikbetrieb sie nicht kennt, haben die Hofnarren nicht verdient. Bleibt uns nur, mit Hamlet zu rufen: „Ach, armer Yorick!“ – und zu hoffen, dass sich der Vorhang rasch gnädig schließen möge. (Und ab.)
MICHAEL SCHLEICHER