Bussi!

von Redaktion

„Kiss Kiss Kill Kill“, die neue Schau im Haus der Kunst, zeigt Werke von Shu Lea Cheang

Büschelweise Pilze wuchern in diesem Auto-Kunstwerk.

Die Schau beschwört den Geist der Kulturindustrie.

Ein Kussmund als Neon-Reklame im Treppenhaus: Wo würde so ein Kunstwerk besser hinpassen als nach München, die einstige Heimstatt der Bussi-Gesellschaft. © Milena Wojhan (3)

Ob es „narrische Schwammerl“ sind, sei dahingestellt. Jedenfalls wuchern die weißen Pilze büschelweise in einem ausgebrannten Autowrack, das Shu Lea Cheang ins Haus der Kunst gestellt hat. Daneben versperrt Astverhau den Weg, und zu Seiten der Rostkarre liegen riesige Eichenstämme wie frisch gefällt. Wer also glaubt, er steht im Wald, liegt nicht ganz falsch bei „Kiss Kiss Kill Kill“, der „ersten institutionellen Überblicksausstellung“ dieser Künstlerin.

Zumindest aber wird das Wort Musenkuss hier mal ernst genommen! Schon im Treppenhaus leuchtet mit flackerndem Rotlicht ein Kussmund als Neonreklame von der Wand. „KI$$ KI$$“ steht, mit Dollarzeichen, zwischen den Lippen geschrieben, und wo würde so ein Kunstwerk besser hinpassen als nach München, die einstige Heimstatt der legendären Bussi-Gesellschaft. Ob solche lokalpatriotischen Reminiszenzen an die Zeiten, als das Küssen noch geholfen hat, Shu Lea Cheang bewusst sind, bleibt fraglich. Geboren 1954 in Taiwan, lebte sie ab den Achtzigern in New York, inzwischen hat sie ihre Zelte in Paris aufgeschlagen, ist aber als Cyber-Künstlerin eh auf dem ganzen Globus zu Hause – und hält es Bussi-technisch insofern wohl mit der Ode an die Freude: „Diesen Kuss der ganzen Welt!“

Im ersten Saal herrscht dementsprechend die weihevolle Dämmerung eines Sakralraumes. Auf einem Altartisch mit Stuhlkreis sind weiße Tierschädel platziert, als solle hier ein schamanistisches Ritual ablaufen, währen am Boden Roboter kleine Päckchen herumkarren und Dampfwölkchen ausstoßen. Vom Nebenraum leuchtet ein hochformatiger Screen herein, der einen erkennbar computergenerierten Götzen zeigt, eine nackte androgyne Puppe, die als Avatar der Beliebigkeit ständig die Gestalt wechselt. Sind archaischer Spiritismus und die Körperlosigkeit der digitalen Welt also enger verwandt, als man ahnt?

Bei der nächsten Station darf man an blau leuchtenden Sockeln auf zerlegten Computertastaturen herumtippen – ein fast „analoges“ Erlebnis in Zeiten der Touchscreens. Die physischen Tasten aus Kunststoff, die zu solchen „Keyboards“ gehörten, sind nur noch überflüssiges Spielzeug, das massenweise von einer Art Kaugummi-Spender ausgespuckt wird. Und weil all das ebenso prätentiös wie unschuldig wirkt, fragt man sich einmal mehr, ob der inszenierte „Kuss“ des Materiellen und des Digitalen, der ja der Clou von Shu Lea Cheangs Kunst ist, nicht bloß einem Filmkuss gleicht – eine Show, die den Geist der Kulturindustrie beschwört.

Mit ihrer Schwammerl-Karre im letzten Raum schließlich bringt die Künstlerin augenzwinkernd die Vorstellung ins Spiel, man könnte alte Autos kompostieren. Aber die Liebhaberin des Recycling-Prinzips schraubt diesen Gedanken noch ins Valentineske hoch: An die Wand neben der alten Blechkiste wird der flimmernde Datensalat sogenannter Mailinglisten projiziert – ein fossiler Rest aus der Frühzeit des Internets. Was das mit einem Autowrack zu tun hat, erschließt sich zwar nicht von selbst, aber man erfährt: Die Künstlerin überlegt, ob die unfassbaren Datenmengen, die sich im Worldwide Web angehäuft haben, nicht ebenfalls „kompostiert“ werden könnten, auf dass aus dem Ergebnis dieses elektronischen Fäulnisprozesses etwas Neues wachse. – Digitale Schwammerl vielleicht? „Bussi!“, kann man da nur sagen.
ALEXANDER ALTMANN

Bis 3. August

Täglich außer Di. 10 bis 20 Uhr, Do. bis 22 Uhr.

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