Zärtliche Zweideutigkeit

von Redaktion

Tocotronic veröffentlichen heute ihr Album „Golden Years“

Eine neue Platte, und das am Valentinstag: Tocotronic legen heute ihr neues Werk mit dem verheißungsvollen Titel „Golden Years“ vor. Es umfasst zwölf, die Hörer mal sanft umgarnende, mal aber auch leicht aufrüttelnde Stücke. Und wieder, man kennt das von der Band, die es gern rätselhaft mag, steckt es voller Ironie und Zweideutigkeiten. Handelt es sich gar um ein Liebesalbum? „Ich finde, es ist ein sehr zärtliches Album“, erklärt Bassist Jan Müller. Aber man soll sich nicht täuschen: Vor wenigen Monaten wurde die erste Single veröffentlicht: „Denn sie wissen, was sie tun“. Ein eingängiges Stück Rock mit allerdings ernstem Hintergrund: Dort heißt es: „Diese Menschen sind gefährlich, denn sie wissen, was sie tun“.

Wenige Tage vor der Bundestagswahl kommt man kaum umhin, das Stück, in dessen Video Monstertrucks in einer Art Zerstörungsrausch zu sehen sind, als Warnung zu sehen. Dirk von Lowtzow singt: „Darum muss man sie bekämpfen, denn sie werden zahlreicher“. Bassist Müller sagt dazu: „Vieles, was progressiv ist, ist gerade bedroht, und das ist total gruselig.“ Lowtzow ergänzt: „Man kann sich nicht aus der Verantwortung entziehen, und man muss auch als Band Verantwortung übernehmen. Deswegen war das schon ganz bewusst gesetzt, das Lied.“

Aber Tocotronic wären nicht Tocotronic, wenn die vermeintliche Regieanweisung im Kampf gegen ganz Rechts (unter das Video zum Song hat die Band den Hashtag „noafd“ gesetzt) nicht poetisch gebrochen würde: „Wenn wir sie auf die Münder küssen“, heißt es nämlich weiter, „machen wir sie schneller kalt“.

Unmittelbar ins Ohr schmeicheln sich gleich mehrere neue Lieder, etwa der grandiose Opener „Der Tod ist nur ein Traum“. Das eingängige „Wie ich mir selbst entkam“ vermag sich gar noch länger im Ohr einzunisten: Sänger und Songschreiber von Lowtzow findet dort so schöne wie gleichsam rätselhafte Sprachbilder: „Und ich hielt mich fest an deinem ausgestreckten Arm.“ Flankiert wird das Ganze von rundum famosen Gitarrenfiguren.

Apropos: Gitarrist Rick McPhail hat zwar noch mitgewirkt an der Entstehung des Albums. Nach den Aufnahmen aber nahm sich der gebürtige US-Amerikaner für unbestimmte Zeit eine Auszeit: Tocotronic sind nun wieder ein Trio. Just so wie in den Anfangstagen Mitte der Neunzigerjahre, als die Band mit ihrem alternativ-studentischen Look auch modemäßig Trends setzte: Tocotronic und ausgewaschene Trainingsjacken wurden in einem Atemzug genannt. Heute sieht man die drei gut gealterten Herren auch mal im weißen Hemdkragen. Der Songtitel „Ich werde mich nie verändern“ vom dritten Tocotronic-Album war eben schon vor 29 Jahren eine augenzwinkernde, wenn auch feine Irreführung.
MATTHIAS VON VIERECK

Tocotronic:

„Golden Years“
(Sony).

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