„Die höchste Form des Gebets“

von Redaktion

Komponist Enjott Schneider über die Uraufführung seines Werks „Creatio“

„Was mich immer noch beim Komponieren hält, ist die Tatsache, dass Kunst in unserer Gesellschaft beinahe mehr Bedeutung hat als Religion“, sagt Enjott Schneider. © Reinhard Kurzendörfer

Große Geburtstage verlangen nach großer Musik. Und wenn dann sogar noch zwei Jubiläen zusammenfallen, muss es natürlich eine Uraufführung sein. Dies dachte man sich wohl auch beim Münchner Motettenchor. Zum 65-jährigen Gründungsjubiläum wird hier am kommenden Wochenende die „Creatio“ von Enjott Schneider aus der Taufe gehoben, dem man damit gleichzeitig zum bevorstehenden Fünfundsiebzigsten gratuliert.

Es ist keineswegs die erste Zusammenarbeit des Komponisten mit dem Ensemble. Schon 2010 hatte man einen gemeinsamen runden Geburtstag mit der Uraufführung von Schneiders „Orbe rotundo“ gefeiert, einem Schwesterwerk zu Orffs „Carmina burana“. Und natürlich stellen sich auch jetzt bei der Schöpfungsgeschichte Assoziationen an große Vorgänger des Komponisten ein.

Doch genau wie im Libretto für Joseph Haydn das Buch Genesis und die Psalmen durch Miltons „Paradise Lost“ ergänzt wurden, beschränkt sich auch Enjott Schneider nicht auf den biblischen Schöpfungsmythos. Mit „Creatio“ begibt er sich auf die Suche nach dem Ursprung. Nach dem, was die einen als Geist Gottes und andere als kosmische Intelligenz bezeichnen, deren Ordnung sich in der Geometrie unserer Welt findet: etwa in den zwölf Monaten, den zweimal zwölf Stunden des Tages, aber auch in den zwölf Rippenpaaren des menschlichen Körpers. „Ich wollte hier keine rein christliche Geschichte verbreiten und habe mich daher bei den verschiedensten Quellen bedient. Bei Zarathustra, bei Saint-Exupéry, aber auch beim Buddhismus oder bei Naturreligionen, weil fast überall mit ähnlichen Bildern gearbeitet wird.“

Für Schneider ist sein jüngstes Werk für den Motettenchor ein Gegenentwurf zu „Orbe rotundo“. Denn während dort „Sinnlichkeit und Fleischeslust“ im Mittelpunkt standen, geht es nun eine Stufe weiter. „Es dreht sich darum, seine Position in der Welt zu finden. Nicht mehr nur um die Frage was will ich, sondern was will der Kosmos von uns?“ Neben Gedanken von Lao-Tse, Hegel oder C. G. Jung verweist der Komponist da unter anderem auch auf den zukunftsweisenden Ingenieur Nikola Tesla, den er mit den Worten zitiert: „Wenn du die Geheimnisse des Universums finden willst, denke in Bildern wie Energie, Frequenz und Vibration.“

Basis der Partitur sind folgerichtig die vier Elemente, die ihre Balance allerdings erst durch das Hinzutreten der Liebe als fünftes Element finden. Hier verkörpert von Sopranistin Julia Sophie Wagner. Zu Beginn steht da kein Urknall oder gar das Chaos, wie es der Barockkomponist Jean-Féry Rebel in „Les Elements“ mit dem ersten Cluster der Musikgeschichte beschrieb. Stattdessen finden wir eine Verneigung vor Johann Sebastian Bach. „Es beginnt mit dem Cellisten Wen-Sinn Yang, der das Präludium zur G-Dur-Suite spielt. Erst danach fängt mein Stück im neutralen weißen Grundton C an. In der Bibel heißt es am Anfang ja, der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. Für diesen Nullpunkt, aus dem alles andere entsteht, konnte es für mich nur Bach geben.“

Wen-Sinn Yang zählt bereits lange zu Schneiders künstlerischen Freunden. Genau wie das ebenfalls beteiligte Arcis Saxophon Quartett und das Schlagzeugquartett Stefan Blum, deren Klang er bei der Niederschrift im Ohr hatte. „Das sind einfach hervorragende Musiker. Es ist nicht einfach, was sie zu spielen haben, aber ich weiß, dass sie es können. Und dass sie ihren Beruf alle aus Liebe zur Musik machen.“

Der Anspruch, mit Kunst die Welt verändern zu wollen, hat für Schneider angesichts der aktuellen Weltlage oft schon einen leicht zynischen Beigeschmack. Aber den Optimismus hat auch er nicht ganz verloren. „Was mich immer noch beim Komponieren hält, ist die Tatsache, dass Kunst in unserer Gesellschaft beinahe mehr Bedeutung hat als Religion. Sie ist die Berührung mit dem Geistigen, ein Einstieg in die immaterielle Welt jenseits von Kommerz und Konsum. Wenn ein Chor gemeinsam singt oder ein Orchester spielt, entsteht ein Wir, das größer ist als jeder Einzelne von uns. Das ist für mich die höchste Form des Gebets.“
TOBIAS HELL

Uraufführung

von „Creatio“ ist am 22. Februar, 19 Uhr, in der St. Matthäuskirche am Sendlinger Tor; Karten unter muenchenticket.de.

Artikel 3 von 11