Mit Gesängen und Gedichten gelingt ein bewegender Abend. © Kerstin Schomburg
Es geht um das gesprochene Wort an diesem Abend im Werkraum der Münchner Kammerspiele. Das verrät schon der Titel „Dialoge der Sprachlosigkeit“. Die in Berlin lebende Künstlerin und Schriftstellerin Dîlan Z. Çapan, ehemalige Künstlerische Leiterin des Habibi Kiosk der Kammerspiele und seit dieser Spielzeit für die Literaturreihe „Literatur:Raum“ am Haus verantwortlich, befasst sich in ihren literarischen Arbeiten häufig mit den Grenzen des Sagbaren und der Macht von Sprache – und eben auch mit der Frage, was die Abwesenheit von Sprache, das Fehlen der passenden Worte, aussagt.
Wie lassen sich schrecklichste Ereignisse angemessen in Worte fassen? Kann das überhaupt funktionieren? Çapan versucht es zumindest in ihrer Lyrik-Lecture-Performance, unterstützt von der Autorin, Schauspielerin und Theaterregisseurin Antigone Akgün und der Mainzer Musikerin und Sängerin Dilan Top. Im Zentrum dieses aus dem Schauspiel Hannover eingeladenen Gastspiels steht die Unterdrückung Andersdenkender in diktatorischen Regimen, im Besonderen aber widmen sich die drei Frauen mit viel Herzblut dem Schicksal der Kurden.
In wechselnd vorgetragenen Gedichten und Gesängen tasten sie sich an schmerzhafte Erinnerungen der jahrhundertelangen globalen Unterdrückung und Verfolgung der kurdischen Minderheit, speziell im Gebiet der Türkei und des Irak, heran. Zurück in jene Zeit Ende der Achtzigerjahre zum Beispiel, als Giftgas vom Himmel fällt und die Vögel im Flug tötet, ehe es auf der Erde noch größere Verheerungen anrichtet. „Später wird man lesen, dass der Tod an jenem Tag nach süßen Äpfeln duftete und zu großen Teilen aus Deutschland losgeschickt wurde.“ Mit jedem Toten verschwindet ein weiteres Stück der kurdischen Kultur, ein weiterer Vertreter der Traditionen, Sprachen und Tänze, ein weiteres Stück Identität.
Mit dem Thema Tanz befassen sich Çapan und ihre Mitstreiterinnen auf der in unterschiedliche Ebenen aufgeteilten, meist nur spärlich beleuchteten Bühne sehr ausführlich. Im Hintergrund sieht man dazu Video-Projektionen von Männern und Frauen, die zu verschiedenen Anlässen alleine oder in Gruppen traditionelle kurdische Tänze wagen. Anlässe gibt es viele. Sogar nach einem gelungenen Tor beim Fußballspiel. „Jemand hat mal gesagt, Kurden tanzen so eng Schulter an Schulter gepresst, um sich vor äußerer Gefahr, vor Angriffen zu schützen“, erläutert Çapan die Filmszenen, zu denen Dilan Top auf ihrer Langhalslaute, einer Tanbur, spielt. „Kurden tanzen wann immer sie können, wo immer sie wollen. Dadurch zeigen sie, dass es sie gibt.“ Und schiebt ergänzend eine weitere Erklärung nach: „Es ist gefährlich für uns zu sprechen, deswegen tanzen wir.“
Die kurdische Sprache ist im Gebiet der Türkei nach wie vor ebenso verboten wie kurdische Namen für Personen. Von den „drei Buchstaben“ der verbotenen Partei ganz zu schweigen. Die Wirkung, wenn „Alphabete kriminalisiert werden“, ist enorm: „Es bedeutet unter anderem, sein Sprechen zu verlieren. Es bedeutet, jedes Wort verstecken zu müssen und sich selbst nicht mehr zu finden.“ Und die verbleibende, allgemein tolerierte Sprache „wird an der Zunge so langgezogen, bis sie bricht“.
Dîlan Z. Çapan gelingt mit diesen sehr klug komponierten, poetischen und musikalischen Assoziationen ein bewegender Abend. Er schärft den Blick auf das Wesentliche. Nicht nur auf das Schicksal des kurdischen Volkes. Sondern auch darauf, dass Sprache und freie Rede keineswegs so selbstverständlich sind, wie wir leichtsinnigerweise oft annehmen.
ULRIKE FRICK