Zum Knutschen gut

von Redaktion

Das Münchner Literaturfest sucht die „Sprachen der Liebe“

„Wir müssen uns auf das besinnen, was wir lieben“, ist Daniel Schreiber überzeugt, der in diesem Jahr das Literaturfest München kuratiert. Er sitzt vor dem Gemälde „The Kiss“ von Amaia G. Marzabal, dem Plakatmotiv des Festivals. © Catherina Hess

Wer das Glück hat, diese Erfahrung zu kennen, weiß: Ein guter Kuss knallt. Kaum ist in Worte zu fassen, wie Körper, Geist, Seele dabei durchdrehen – nur eines ist sicher: Man will mehr davon. Beide Aspekte führen uns direkt zum Literaturfest München, das mit dem Gemälde „The Kiss“ von Amaia G. Marzabal wirbt. Ohne Zweifel: Bei den beiden Unbekannten auf dem Bild knallt es gerade fantastisch.

Das Literaturfest findet, wie berichtet, erstmals im Frühjahr statt und will sich an den zehn Tagen im April konzentrierter präsentieren. „Wir wollen“, sagt Literaturhaus-Chefin Tanja Graf, „dass sich bei diesem Festival ein Suchtfaktor einstellt.“ Wer sich durch die rund 80 Seiten des optisch wie inhaltlich eleganten und klar strukturierten Programmbuchs blättert, bekommt bereits eine Vorahnung: Das wird zum Knutschen gut.

Dem Team um Graf und den Autor Daniel Schreiber, der heuer Kurator ist, ist – zumindest auf dem Papier – etwas Schwieriges gelungen: Es vereint Sinnliches, das jeder Kunst im besten Falle innewohnt, mit Politischem. Mit „Sprachen der Liebe“ hat Schreiber das Festival überschrieben – und gleichberechtigt dem Motto eine Frage beigestellt: „Wie wollen wir leben?“ Wir müssen gar nicht nur auf die aktuelle Weltlage schauen, um zu erkennen, wie wichtig es für uns alle ist, genau darüber ins Gespräch zu kommen.

Doch habe der Begriff „Liebe“ oft einen „schlechten Ruf“, räumt Schreiber ein. Da er häufig ausschließlich im romantischen Kontext begriffen werde. Für ihn und seine Arbeit als Kurator heißt Liebe indes „eine leidenschaftliche Beziehung zur Welt einzugehen“. Wie in jeder Beziehung geht es dann rasch um die Frage „Wie wollen wir leben?“

Diese ist Leitmotiv der Debatte am ersten Abend, der „exemplarisch“ für ein „Festival des Austauschs“ stehe, sagt Tanja Graf. Im Literaturhaus begeben sich Mirjam Zadoff, Direktorin des NS-Dokuzentrums, der Journalist Hasnain Kazim sowie die Autorinnen Gabriele von Arnim und Asal Dardan auf die Suche nach der verbindenden Sprache der Demokratie. Eröffnet wird das Literaturfest am Abend zuvor – mit einer Rede von Luisa Neubauer („Was wäre, wenn wir mutig sind“) und lässigen Chansons von Vladimir Korneev, den Julia Hornung am Bass begleiten wird. Das wird ein (intelektuelles) Fest.

Ebenso wie die Folgetage. Im Programm stehen dann etwa ein zweitägiges Symposium rund um das weite Feld der „Leidenschaften“ (Mode! Garten! Schönheit! Kochen!), Meike Rötzer wird Klassiker der Weltliteratur, hier: „Anna Karenina“, maximal konzentriert in 90 Minuten erzählen; Dora Heldt lädt Caroline Peters zum Live-Podcast, ebenso bittet Matze Hielscher das Autoren-Paar Monika Helfer und Michael Köhlmeier in sein längst Kult gewordenes „Hotel Matze“.

Die Münchner Schiene wird vom Lyrik-Kabinett programmiert, das etwa eine Wanderung durch Giesing mit der Autorin Sara Gómez auf den Spuren des iranisch-deutschen Dichters SAID (1947-2021) anbietet. Außerdem präsentieren drei literarische Duos „Pamphlete zum Wohnen in München“. Spannend verspricht auch der Abend „München beyond München“ über die alltäglichen Formen von Übersetzung zu werden.

Ein im besten Sinne aktives Publikum wünschen sich die Verantwortlichen bei allen Terminen. Die ganz Mutigen können mit dem „Go Sing Choir“ sogar in die große weite Welt der Lovesongs aus den Achtzigern eintauchen. „Man muss nicht singen können, aber Spaß daran haben“, fasst Tanja Graf die Anforderungen zusammen. Eine Feststellung, die für alle Programmpunkte gilt.

Denn dann knallt Literatur – wie ein guter Kuss.
MICHAEL SCHLEICHER

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