Der jüngste Altstar des Rock’n‘Roll: Lenny Kravitz (60) bei seinem magischen Gastspiel. © Martin Hangen
Lenny Kravitz beklagt zu Recht, dass die Welt mehr denn je gespalten ist, dass es zu viel Hass gibt und zu wenig Liebe. Doch an diesem magischen Abend war in der ausverkauften Münchner Olympiahalle von Spaltung nichts zu spüren. Denn auf der Bühne stand der, auf den sich alle einigen können: Mr. Kravitz, der ewige „Minister of Rock’n’Roll“. Dieser Minister braucht keine Koalitionsverhandlungen. Lenny ist die GroKo des Soul, des Funk, des Blues und des schmutzigen Rock. „Munich, I love you“ ließ er immer wieder wissen. Und München liebte leidenschaftlich zurück. Let Love rule! Let Lenny rule!
Dass der jüngste Altstar des Rock schon 60 sein soll, war unter den Fans nur während des arg langen Wartens ein Thema, bis der Meister endlich auf die Bühne stiefelte. 57, 58, 59, 60? Egal, dann ist er halt Münchens Lieblings-Sechzger. Der einzige, dem auch die Roten zu Füßen liegen. Wobei: Das kurze Lederjackerl, das so bauchfrei nur wenige Herren seines Alters tragen sollten, schimmerte himmelblau. Er wird sich doch nicht die Nieren verkühlen, der Arme? Ach wo, auch das hat er im Griff.
Mit „Bring it on“, der New Yorker Version von „Pack ma’s“, eröffnete Kravitz die Show, mit fliegenden Rastas und der Puck’schen Stubenfliegen-Brille auf der Nase. Mit seiner Gibson Flying V knallte er den Fans das erste Monster-Riff um die Ohren. Beim neuen Song „TK421“, in dem es angeblich, nun ja, um seinen kleinen Lenny geht, durfte man über die irre Videowand aus zahllosen Würfeln staunen, die ungefähr so spektakulär war wie der ganze Kerl.
Nur drei Songs aus seinem aktuellen (und exzellenten) Album „Blue Electric Light“ standen auf der Setlist. Die anderen Platten bekamen maximal zwei Titel ab. Die Auswahl ist nach 35 Jahren ja groß genug. Die Band rund um Gitarrist Craig Ross und Pracht-Schlagzeugerin Jas Kayser brachte den dreckigen, erdigen Kravitz-Sound blitzsauber auf die Bühne. Lenny feierte die supercoole englische Trommlerin, die eigentlich vom Jazz kommt, sehr zu Recht als „meine Schwester und meine Königin“.
„Stillness of Heart“, „Again“, „American Woman“, „Fly away“ und „Are you gonna go my Way“ – der Hinternwackler hatte alles im Gepäck, was gut und teuer ist. Zwischendurch schob er die Stubenfliegen-Brille nach oben, beäugte seine Münchner Jünger, umarmte ein paar glückselige Fans vor der Bühne, ließ sich ausgiebig feiern und plauderte über Gott und die Welt. Yeah, Gott, der Schöpfer von Himmel, Erde und Rock’n’Roll, hat es sehr gut gemeint mit diesem Kravitz. Und weil es nicht vorbei ist, bevor es vorbei ist („It ain’t over ’til it’s over“), regierte am Ende noch einmal die Liebe. Let Love rule! Recht hat er: Die Liebe ist es, die der Welt fehlt. Mit Minister Lenny würde das nicht passieren.
JÖRG HEINRICH