Schön fies: Violeta Urmana als Kabanicha. © Geoffroy Schied
Violeta Urmana kehrt an ihr Heimathaus zurück. © Baltenas
Eine Frau geht fremd und wird von ihrer Schwiegermutter in den Tod getrieben: In „Katja Kabanowa“ erzählt Leos Janácek, dicht gedrängt auf 105 Minuten, vom Zwiespalt zwischen sozialen Zwängen und persönlicher Freiheit. Premiere an der Bayerischen Staatsoper ist am kommenden Montag. Marc Albrecht dirigiert, Krzysztof Warlikowski inszeniert. Die Partie der Schwiegermutter Kabanicha singt Violeta Urmana.
Passieren solche Geschichten heute noch?
Überall. Dass Schwiegermütter mit ihren Schwiegertöchtern nicht auskommen, kennt man doch. Auch dass eine Mutter ihren Sohn unterdrückt und mit den falschen Mitteln an sich binden will. Es muss ja nicht gleich ein Todesfall das Ergebnis sein wie hier, wenn Kabanicha ihre Schwiegertochter Katja in den Suizid treibt. Früher, zu der Zeit, in der „Katja Kabanowa“ spielt, war so etwas wie Ehebruch und Scheidung viel schlimmer. Die Schuldgefühle waren stärker, auch unter dem Einfluss der Religion.
Es heißt ja immer: Wenn man Rollen interpretiert, muss man ein Stück von diesen auch in sich selbst finden.
In diesem Fall musste ich ziemlich lange danach suchen. (Lacht.) Aber der Regisseur hilft ja in solchen Fällen. Kabanicha denkt einfach, sie sei besser als alle anderen. Total arrogant. Aber vielleicht steckt eine große Liebe dahinter, sie kann es nur nicht zum Ausdruck bringen. Sie ist einfach eifersüchtig auf die Schwiegertochter – mit schlimmen Folgen.
Sie singen inzwischen einige dieser zwielichtigen Frauenfiguren. Man könnte denken, das passt gar nicht zu Ihrer Stimme. Sie vermeiden ja eher Drastik, man höre nur Ihre Klytämnestra in „Elektra“.
Na, die Noten müssen doch möglichst richtig gesungen werden – und das am besten mit tausend Farben. Gerade bei der Klytämnestra kann man viele davon finden. Außerdem: Wenn man diesen Beruf länger ausüben möchte, sollte man nicht übertreiben mit Charakterisierungen, die gar nicht in der eigenen Stimme liegen. Ich singe nun schon 30 Jahre – und will es weiterhin tun.
Können Sie sich nach Proben und Vorstellungen frei machen von diesen Frauenfiguren? Oder verfolgt Sie alles ins Private?
Ich schaffe den Sprung ohne Probleme. Wenn man nicht schlafen kann, dann hängt das meistens am Adrenalin, das sich während einer Vorstellung aufgebaut hat. Wenn man sich auf eine Rolle vorbereitet, hat man sich doch ein gewisses Bild davon gemacht und ist nicht überrascht. Man muss schon sensibel sein, aber eben nur bis zu einem gewissen Grad.
Identifikation mit Distanz also.
Genau. Ich mag es zum Beispiel nicht, wenn jemand auf der Bühne gerade nichts zu singen hat, sich mit dem Rücken zum Publikum dreht und irgendwelche Grimassen schneidet. Das kann ich nicht ertragen. Das Publikum liest auch vom Rücken ab, was jemand gerade denkt oder fühlt. Ich empfinde einen Abend auf der Bühne als Prozess. Ich lebe, wenn auch mit Distanz, das Leben der Bühnenfigur, da kann es keine Unterbrechungen geben.
Würden Sie in der aktuellen Situation, auf dem heutigen Opernmarkt, gern eine Karriere starten?
Wir hatten es früher schon leichter. Die Konkurrenz ist härter geworden. Ich habe oft Nein gesagt zu Rollenangeboten und immer das gesungen, was für mich gut war und was mich interessiert hat. Der Wechsel vom Mezzo zum Sopran und dann in das deutsche und italienische Fach war nicht so einfach – auch wenn ich schon bekannt war. Dass es Leute an der New Yorker Met oder an der Wiener Staatsoper gab, die an mich geglaubt und mich zu Sopranrollen ermuntert haben, war ein Glücksfall. Ich wusste aber immer, dass die Sopran-Phase nur eine gewisse Zeit dauern würde. Ich wäre gern Sopran geblieben. Aber man spürt irgendwann, dass es wieder zurückgehen wird.
Würden Sie sich als Realistin bezeichnen?
Ich kenne meine Grenzen. Außerdem hatte ich nie eine Sopran-Trompete wie Birgit Nilsson, die um sieben Uhr morgens ein hohes C singen konnte. Es ist sehr nett, wenn man tolle Rollen vorgeschlagen bekommt. Man soll sich aber nie zu etwas verleiten lassen von gewissen Leuten an gewissen Theatern. Ich habe mich zum Beispiel nie zu einer Brünnhilde überreden lassen. Letztlich weiß niemand, nicht einmal ein Gesangslehrer, was man fühlt, wenn man singt. Man muss spüren, wohin die Stimme einen führt.
Was ist die Stimme für Sie? Instrument? Partner? Freund?
Oder Feind …? (Lacht.) Es ist ein bisschen wie eine andere Person. Etwas Eigenes, das sich meiner Muskeln bedient. Wir dienen außerdem unserer Stimme. Mit ihr gestalten wir schließlich unser Leben.
Und sind Sie privat jetzt ausgeglichener, weil Sie auf der Bühne die fiesen Frauen singen?
Ich bin eine ziemlich ruhige, positive Person. Ich merke aber, dass es Momente gibt, in denen ich zurückschlagen könnte. Bei drohender Gefahr kann ich also gefährlich werden …