Wenn die Röte ins Gesicht steigt

von Redaktion

Matthias Kreienbrinks Buch „Scham“ über ein unterschätztes Gefühl

Das Herz schlägt schneller, die Hände werden schwitzig, das Gesicht rot, der Körper kribbelt, man möchte nur der Situation entfliehen, wegrennen – oder im Boden versinken. Jeder kennt solche Situationen und das Gefühl dahinter: Scham.

Matthias Kreienbrink hat sich dieser machtvollen Emotion aus verschiedenen Perspektiven genähert und in seinem Buch „Scham“ analysiert. Es ist ein Gefühl, das die Grenzen unseres Zusammenlebens definiert, „ein Spiegel der Gesellschaft“. Zugleich ambivalent und voller Widersprüche: Die Scham kann sich positiv und negativ auswirken, kann konstruktiv und destruktiv sein.

Auf neurologischer Ebene ist Scham eine Stressreaktion, bei der Hormone wie Adrenalin und Cortisol freigesetzt werden. Doch weit über die biochemischen Prozesse hinaus verändert Scham unsere Selbstwahrnehmung – erzeugt durch einen Perspektivenwechsel: Wir treten aus uns heraus, betrachten unser Verhalten durch die Augen anderer und hinterfragen, wie wir auf sie wirken. So kann Scham entstehen – ein Gefühl, sich selbst als ungenügend wahrzunehmen.

Und sie ist überall, das wird bei der Lektüre klar. Der Autor führt die Leser durch verschiedene Lebensphasen – von der Kindheit über die Jugend bis ins hohe Alter – und zeigt, wie Scham in unterschiedlichen Kontexten auftritt. Ganz besondere Aufmerksamkeit widmet er dabei immer wieder den Sozialen Medien. Durch sie gewinnt Scham eine neue Schärfe und wird regelrecht zur Waffe: Klassenzimmer sind keine geschützten Räume mehr, wenn Schülerinnen und Schüler Unterrichtsszenen filmen und online teilen. Was einst ein lokales MobbingProblem war, kann sich so zur öffentlichen Demütigung ausweiten. Soziale Medien verkürzen Themen, nehmen Komplexität. Auch beim Beschämen geht es darum: Dinge zu verkürzen, auf ein paar Schlagworte herunterzubrechen. Kreienbrink führt ein ganzes „ABC der Beschämung“ auf: von „Boomer“ über „Gendergaga“ bis hin zur „Flugscham“. Undifferenzierte Phrasen, die beschämen sollen.

Das Buch regt zum Nachdenken an. Und erinnert daran, wie schön es wäre, dem Vorschlag des Autors zu folgen, etwas nachsichtiger miteinander umzugehen – um als Gesellschaft wieder näher zusammenzurücken. Sehr, sehr empfehlenswert.
LEONI BILLINA

Matthias Kreienbrink:

„Scham“. Kösel Verlag, Kempten, 221 Seiten; 22 Euro.

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