Voller Dynamik in Preußischblau: Hokusais „Große Welle“. © Bayerische Staatsbibliothek
Besonderes Fotomotiv: Blick in die sehenswerte Ausstellung in der Bayerischen Staatsbibliothek. © Sven Hoppe/dpa
Jetzt dürfen sich auch Bücherwürmer mal als Wellenreiter fühlen! Denn die Freitreppe in der Bayerischen Staatsbibliothek ist mit einer riesigen Reproduktion von Hokusais berühmtem Holzschnitt „Die große Welle“ beklebt: auf dass der Besucher sich beim Stiegen-Steigen quasi hinaufgespült fühle ins Obergeschoss – und damit in die neue Ausstellung des Hauses, die japanische Farbholzschnitte des 19. Jahrhunderts präsentiert.
Zur Einstimmung treibt man an imposanten, viele Details sichtbar machenden Vergrößerungen dieser delikaten Grafiken vorbei Richtung Schatzkammer, wo uns die Originale effektvoll aus dem Dämmerlicht entgegenstrahlen. Die „Best-of“-Auswahl beweist wieder einmal, welche Fülle von Preziosen sich in den einzelnen Sammlungen der Staatsbibliothek verbirgt. Von wunderbar poetischen Landschaftsdarstellungen bis zu Illustrationen von Abenteuerromanen voller Dämonen und Samurai-Krieger reicht das breite Motivspektrum der Holzschnitte. Ein wichtiges Sujet ist aber vor allem das gesellschaftliche Leben mit Szenen aus dem Theater, dem Teehaus oder von SumoWettkämpfen.
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht natürlich ein bestens erhaltenes Exemplar von Hokusais „Welle“ (1832) – längst eine Ikone nicht nur der japanischen Kunst. Denn das Werk, für das der Meister die in Berlin entwickelte Farbe Preußischblau verwendete, übte entscheidenden Einfluss auf seine westlichen Kollegen aus: mit der Betonung von Linie und Farbfläche nahm es Formelemente vorweg, die dann für den Jugendstil prägend wurden. Aber schon zuvor hatten japanische Drucke, die ab 1850 mählich nach Europa schwappten, die hiesigen Künstler durch ungewöhnliche Bildausschnitte oder Blickwinkel überrascht – etwa Hiroshiges „Pflaumengarten“ (1857) mit seinem dunklen Geäst im Vordergrund.
Und selbst bis in die Gegenwart reicht die Wirkung dieser Holzschnitte. Denn es liegt nicht nur an ihrer flächig-illustrativen Formensprache, dass sie uns sofort als Vorläufer von Comics und japanischen Mangas erscheinen, sondern auch an ihrer Figurendarstellung: Alle Personen wirken sanft übertreibend typisiert, und so vielfältig der Fächer der Charaktere auch sein mag, sie bleiben „im Schema“, ohne zu voller Individualität zu gelangen.
Vor der Schatzkammer dürfen Besucher die komplizierte Technik des Farbholzschnitts mit vorbereiteten Stempeln im Kleinen ausprobieren – bis die „Welle“ kreativer Begeisterung sie vollends davonträgt.
ALEXANDER ALTMANN
Bis 6. Juli
So. bis Fr. 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei.