Schnoddrige Schöneberger Schnauze

von Redaktion

Hildegard Knef war ein Glücksfall für das Nachkriegs-Kino. Bildschön und nicht besudelt von einer Karriere unter den Nazis. Halb Deutschland ging 1950 nach ihrer Nacktszene (und der Darstellung eines Doppel-Suizids) in „Die Sünderin“ auf die Barrikaden. Gefühlt die andere Hälfte ging aber in die Kinos, und im Zusammenhang mit dem Erfolg des Films veröffentlichte Knef im Oktober 1951 die erste von ihr besungene Schallplatte, „Ein Herz ist zu verschenken“.

Dieses Lied fehlt leider auf der Werkschau „Musik aus einem Leben“, die heute erscheint – neun Monate vor Knefs 100 Geburtstag. Dennoch beweisen die ausgewählten 43 Stücke (14 sind es auf Vinyl), was für ein Glücksfall sie auch für die deutsche Popmusik war. Dabei steht ihr das berühmte Bonmot von Ella Fitzgerald, wonach sie „die großartigste Sängerin ohne Stimme“ sei, gar nicht im Weg. Eine Stimme hatte sie nämlich, eine dezidiert berlinerische. Und eine wandelbare, die zu Chansons genauso gut passte wie zum Jazz. Die Schöneberger Schnauze immer schön schnoddrig: In „Von nun an ging’s bergab“ erzählt sie ihre Biografie so nonchalant, wie man das eigentlich nur von Lebemännern wie Sinatra kannte, „Tapetenwechsel“ singt sie mit unnachahmlichem Lebenshunger. „Im 80. Stockwerk“ mit seinen funky Drums zu psychedelischem Pop wird heute noch von DJs gespielt (und wurde von den Fantastischen Vier gesampelt).

Nur zwei Minuspunkte gibt es an dieser Zusammenstellung: Die unfassbar schlimme Version des Klassikers „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ von Extrabreit hätte es zusätzlich zum unsterblichen Original nicht gebraucht. Dafür fehlen Songs von Knefs großer Cole-Porter-Hommage „Träume heißen Du“ von 1968. Aber die kann man sich ja parallel „Musik aus einem Leben“ anhören.
JOHANNES LÖHR

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