Unter den Augen ihres Schöpfers Samuel Beckett: Estragon (Max Rothbart, li.) und Wladimir (Florian von Manteuffel) warten im Residenztheater auf Godot. © Birgit Hupfeld
Unklar ist, ob die Theatermacherin Claudia Bauer den Schriftsteller Ernst Augustin (1927-2019) gelesen hat. „Nur im Spiel“, bemerkte der Autor einmal, „können Sie Dinge bewältigen, die Sie ernsthaft gar nicht bewältigen könnten.“ Bauers Inszenierung von Samuel Becketts „Warten auf Godot“ folgt diesem Diktum. Die Regisseurin und ihr glänzend aufgelegtes Ensemble lassen das Publikum teilhaben an ihrem wundersamen Spiel. Am Freitag war Premiere im Residenztheater (zwei Stunden, 40 Minuten; eine Pause).
Zugegeben, der irische Autor (1906-1989) hat die Spielregeln für sein Stück so exakt wie eng vorgegeben. Da sind etwa Eingriffe in den Text, den Beckett 1948 unter dem Eindruck des Weltenbrands geschrieben hat und der fünf Jahre später in Paris uraufgeführt wurde, nur nach Rücksprache mit den Erben gestattet. Und die gelten nicht gerade als spielfreudig.
Bauer lässt sich davon nicht die Laune verderben und begegnet dem Drama mit großer Lässigkeit, einer hinreißenden Musikalität – und einem leisen, subversiven Humor. Andreas Auerbach hat ihr eine schiefe Ebene auf die Bühne gebaut – Manege, Tanzboden, Warteplatz. Kurzum: eine Spielfläche, die von den vier Schauspielern umfassend genutzt wird.
Am Rand sitzen Eugen Bazijan (Cello), Michael Gumpinger (Klavier/Synthesizer) sowie David Pätsch (Schlagzeug/Percussion) und begleiten das Geschehen mit einem hörenswerten Mix aus Zirkus- und Stummfilmmusik, aus Schlager und Schwelgerischem, während auf der Tonspur mitunter der Wind der Ewigkeit (der Vergeblichkeit?) bläst.
„Warten auf Godot“ ist ja wie kaum ein anderer Text eine Art Kaleidoskop der Bühnenliteratur: Jeder Blick darauf gebiert eine eigene Interpretationsmöglichkeit. Wladimir und Estragon, Becketts Vagabunden, treffen einander an unbestimmtem Ort zu unbestimmter Zeit auf einer Landstraße und warten auf Godot. Weder wissen sie, wer oder was Godot ist – noch ob er je kommen wird oder überhaupt existiert. Sein Dasein manifestiert sich einzig im Warten der Unbehausten. Die Zeit überbrücken die beiden mit Dialogen, die wahlweise im Leerlauf oder in der Dauerschleife festhängen.
Es ist eine Freude, Max Rothbart (Estragon) und Florian von Manteuffel (Wladimir) zuzusehen, wie sie dieser Herausforderung begegnen. Ihr Spiel ist körperlich, intensiv – mal absurd-komisch, dann verzweifelt-tragisch, schließlich albtraumhaft. Vor allem als Pozzo und Lucky auftauchen: Michael Goldberg und Lukas Rüppel führen eine brutale Herr-Knecht-Beziehung vor. Das ist eine der wenigen Szenen, in denen Bauer ihre Interpretation aufscheinen lässt. In einer zweiten blicken Estragon und Wladimir in einen Abgrund mit unzähligen Gebeinen, nehmen die „toten Stimmen“ wahr – während auf der Leinwand im Hintergrund animierte Menschenmassen auf ein unbestimmtes Ziel zuschreiten.
Es ist eine kluge Entscheidung von Bauer, dem Stoff mit Zurückhaltung zu begegnen. Ihre Inszenierung gibt dem Text sehr viel Raum. Ab und an lässt sie in der Tiefe der Bühne einen übergroßen, hyperrealistischen Avatar Becketts erscheinen, der Regie-Anweisungen spricht. Dem Meister des Spiels hat Claudia Bauer – absolut ladylike – die Lippen rot gemalt. Denn so sinnlich ist Theater.
MICHAEL SCHLEICHER
Nächste Vorstellungen
am 5., 11. und 24. April;
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