Ein Hörabenteuer

von Redaktion

Bravo: Mirga Gražinyte-Tyla und die Philis

Ein Dirigat ohne Mätzchen konnte man jetzt bei Mirga Gražinyte-Tyla erleben. © Hase

Ein sanftes Sprießen, ein allmähliches Ergrünen, so mögen andere diese Jahreszeit begreifen. Bei Mirga Gražinyte-Tyla bedeutet sie: Diät, Entschlackungskur, Fitnessprogramm nach mutmaßlich fettem Winter. Viel verlangt sie von den Münchner Philharmonikern in Robert Schumanns „Frühlingssymphonie“. Ein Hör-Abenteuer sind diese 35 Minuten, die von einer gravitätischen Fanfare eingeleitet werden. Doch die täuscht, denn dann platzt es los. Elegant auch im Furor ist diese Interpretation, mit elastischem Melos und sehr detailbewusst: Was die Litauerin zum Beispiel in der Durchführung des ersten Satzes entdeckt, wie sie es mit selbstverständlicher Autorität einfordert, das hat Klasse.

Da Gražinyte-Tyla der Bayerischen Staatsoper dauernd Körbe gibt (zuletzt bei „Katja Kabanowa“), muss man sich eben an ihre symphonischen Gastspiele halten. Es ist ein mätzchenfreies Dirigat, das sich in der Isarphilharmonie bestaunen lässt – und zugleich enorm selbstbewusst. Manchmal scheint Gražinyte-Tyla bei Schumann nur die Körpersprache zu dimmen, um den Philharmonikern gleichzeitig zu signalisieren: Jederzeit könnten die Zügel wieder angezogen werden. Auch der langsame Satz bleibt dadurch zielgerichtet und scheint sich nicht (wie bei anderen) ständig selbst zuzuhören.

Sehr gut tut dies auch Schumanns Violinkonzert, in dem die Dirigentin das Orchester aus der Rolle des Stichwortgebers befreit. Vilde Frang spielt es extrem flexibel, mit stufenlosen Übergängen auf engstem Raum. Es ist eine sehr eigentümliche Virtuosität, die das Stück durchzieht. Vilde Frang findet dafür die richtige Verbindung von Noblesse, Subtilität und Bravour. Eine Brillanz in gedeckten Farben, mit atmenden Phrasen auch bei hohen Umdrehungszahlen. In Béla Bartóks eröffnendem Divertimento für Streichorchester meidet Mirga Gražinyte-Tyla die vordergründige Folklore. Anfangs spielen die Philharmoniker etwas überrumpelt und noch nicht mit der eingeforderten Angriffslust. Doch dann entwickelt sich eine in Schichten und Klangverläufe präzise aufgedröselte Studie über Volkstümliches. Ein Gruß aus dem Labor, nicht vom Tanzboden.
MARKUS THIEL

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