„Und dann hat der Pegasus tatsächlich so wie früher, als ich jung war, geschissen: kurz und gut und ohne Qual“, sagt Franz Xaver Kroetz über die Arbeit an seinem neuen Stück. Die mythologische Figur Pegasus steht sinnbildlich für die Dichtkunst. © Michaela Rehle
All jene, die Franz Xaver Kroetz nicht nur als Schauspieler schätzen, sondern vor allem als Schriftsteller und Dramatiker, dürfen sich in diesen Tagen ein bisschen wie der Brandner Kaspar fühlen: Auch sie dürfen ins Paradies „neischaugn“. Wie berichtet, hat der 79-Jährige ein neues Stück geschrieben: „Gschichtn vom Brandner Kaspar“ basiert auf Motiven von Franz von Kobell (1803-1882) und ist ein Auftragswerk des Bayerischen Staatsschauspiels. Uraufgeführt wird das Volksstück am 14. Juni im Residenztheater; Philipp Stölzl inszeniert und Günther Maria Halmer übernimmt die Titelrolle. Für Letztere war ursprünglich Kroetz vorgesehen. Doch „zweimal Kroetz ist einmal zu viel“, wie der Autor sagt. „Und mit dem Halmer war ein toller Schauspieler gefunden. Alles paletti.“ Unserer Zeitung berichtet Kroetz, wie es zum neuen Werk gekommen ist: „Als ich gemerkt hab, dass der Andreas (Andreas Beck, Intendant des Staatsschauspiels; Anm. d. Red.) einen tollen Regisseur und einen umworbenen Schauspieler hat, hab ich auch gemerkt, dass er kein Stück hat. Hab ich gefragt, ob ich eins schreiben soll?! Waren sie zufrieden und haben mir einen Stückauftrag gegeben. Und dann hat der Pegasus tatsächlich so wie früher, als ich jung war, geschissen: kurz und gut und ohne Qual. Und da bin ich glücklich gewesen und wollte das Glück nicht zu viel herausfordern.“
Tatsächlich hat München von Juni an zwei „Brandner“-Inszenierungen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass das (staatliche) Residenztheater seine Pläne nur wenige Tage bekannt gemacht hat, bevor am (städtischen) Volkstheater der 20. Geburtstag der Inszenierung von Christian Stückl gefeiert wird (siehe Kasten).
„Gschichtn vom Brandner Kaspar“ ist Kroetz’ erstes veröffentlichtes Stück seit seinem erschütternden Missbrauchsdrama „Du hast gewackelt“. Dessen Uraufführung inszenierte Anne Lenk während der Intendanz von Martin Kusej 2012 am Staatsschauspiel. „Geschrieben hab ich natürlich mehr“, sagt Kroetz dazu. „Aber die Theater brauchen mich nicht mehr, also muss ich auch nicht hausieren gehen.“
Wer die vier Akte seines neuen Werks liest, stellt wieder einmal fest, wie sehr der Münchner an die Kraft der Bühne glaubt. Sie sei ein „großes Bilderbuch, denn das Stück ist – natürlich – ein Märchen“. Kroetz wünscht sich daher von der Regie, dass diese „nur alte Theatermittel verwendet, also viele gemalte Prospekte, Licht, Musik und sonstigen (Bühnen-)Zauber, damit ein zartes Geflecht aus ländlich-idyllisch, süddeutsch-barock, grausam und lustig entsteht“.
Vor der Szene „Himmelfahrt mit Höllentrip“, auf die der Boanlkramer (Kroetz schreibt ihn ohne d) den Brandner mitnimmt, lautet die Anweisung: „Schön wäre, wenn man für die folgenden Szenen NICHT ins Digitale und Super-Technische ausweichen würde, sondern der altmodische Erzählstil mit seinen ursprünglichen Theatermitteln erhalten bliebe.“ Der Dramatiker hat die Stränge der Kobell-Erzählung von 1871 elegant entschlackt und auf ihren Kern zurückgeführt: Im Zentrum steht die Beziehung zwischen Brandner und Boanl. Mithilfe von Kerschgeist und Falschspiel leiert Ersterer dem Letztgenannten 18 zusätzliche Lebensjahre aus dem Gerippe. Bereits beim Lesen ist das eine Gaudi. Kroetz formuliert pointiert in einem „verglühten Oberbayrisch“, wie er notiert. Sehr angenehm ist, dass der Autor seine Hinweise an die Regie auch beim Schreiben beherzigt hat: Sein Stück ist im besten Sinne aus der Zeit gefallen – Aktualisierungen sind wohldosiert, so ist etwa das Fegefeuer wegen der Energiekrise abgeschafft.
Kroetz will den „Brandner“ zusammen mit zwei weiteren neuen Stücken auch als Buch herausbringen. „Dann sind nämlich Theaterstücke erst mal Literatur – und erst danach Theater-Wurscht-Salat.“
MICHAEL SCHLEICHER