Die angebliche Sünderin

von Redaktion

„Ich will alles“ über Hildegard Knef und ein verlogenes Deutschland

Universalkünstlerin, Freigeist und erster Reality-Star: Hildegard Knef (1925-2002) wird in diesem Film als angefeindete Kämpferin porträtiert. © Lothar Winkler, Hipp

Wenn Marlene Dietrich zu Tode fotografiert wurde, wie sie einmal so griffig beklagte, dann ist Hildegard Knef wohl zu Tode interviewt worden. Wo sich andere Diven ihrer Generation dem Blick der Öffentlichkeit entzogen und gerne vielsagend schwiegen, da sprach die Knef. Von Beginn ihrer Karriere bis unmittelbar vor ihrem Tod ging sie keinem Journalisten aus dem Weg. Die preisgekrönte Dokumentarfilmerin Luzia Schmid hat sich durch Knefs unzählige Interviews gearbeitet und ein Puzzle zusammengesetzt, aus dem sich ein schlüssiges Gesamtbild dieser Frau ergibt, die so umstritten war wie wenige andere Künstlerinnen.

Schon ihr Durchbruch katapultiert die damals 20-Jährige in eine gesellschaftliche Debatte. In „Die Mörder sind unter uns“ spielt sie die Hauptrolle im ersten deutschen Spielfilm nach dem Zweiten Weltkrieg. Es geht um Schuld und Verantwortung, die wenigsten Landsleute haben Lust, sich damit zu befassen. Knef stellt sich den Debatten. Dabei argumentiert sie intelligent, eloquent und aufrichtig. Als sich das prüde Nachkiegsdeutschland 1951 über Knefs kurze Nacktszene in „Die Sünderin“ ereifert, sieht sie das als Symptom für die Verlogenheit des Landes. Die Anfeindungen der Presse, das Missfallen gegenüber einem unabhängigen Freigeist ziehen sich wie ein roter Faden durch Knefs Karriere, ebenso wie ihr Wille, sich davon nicht unterkriegen zu lassen. Im Nachhinein ist es oft unfassbar, mit welcher Arroganz und Herablassung ihr männliche Journalisten gegenübertreten. Der Film lässt das wirken, und allein wie Knef mit ihren Killeraugen diese Journalisten fixiert und trotz mitunter flegelhafter Fragen seelenruhig und klug antwortet, lohnt diesen Film.

Natürlich dokumentiert der nicht nur den bewegten Lebensweg, sondern zeichnet beiläufig auch ein Sittengemälde der alten Bundesrepublik. Mit sehenswertem Archivmaterial geschickt montiert, wird die Knef in ihren Selbstauskünften (von Nina Kunzendorf passend unaufgeregt gesprochen) als Kämpferin porträtiert, die es ihrer Umwelt und sich selber nie einfach gemacht hat. Die neben ihren Erfolgen im Kino eher widerwillig zu einer der großen Sängerinnen des Landes wurde, zu einer Bestsellerautorin und einer unerreichten Meisterin der beruflichen Abstürze. „Ich will alles“ lässt anklingen, dass Hildegard Knef im Grunde nicht nur eine große Universalkünstlerin war, sondern auch der erste Reality-Star Deutschlands. Ohne falsche Heldinnenverehrung ist dies nicht nur eine gelungene Hommage, sondern eine bodentiefe Verbeugung. Die Verbeugung war ein Markenzeichen von Knef. Dafür wurde sie seinerzeit auch kritisiert. Natürlich.
ZORAN GOJIC

„Ich will alles – Hildegard Knef“

Regie: Luzia Schmid
Laufzeit: 98 Minuten

Hervorragend

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