Für Feststimmung sorgte Julia Hornung, die die fantastische Sängerin Emmanuelle Mei begleitete. © Daniela Weiland (2)
„Es sollte nicht radikal sein, sich schreibend oder sprechend oder protestierend gegen fossile Zerstörung zu wehren. Es sollte radikal sein, es nicht zu tun“: Luise Neubauer in München.
Vor der Vernichtung von Menschen steht die Vernichtung der Sprache. Das gefährliche Einschleichen giftiger Töne. Das Uminterpretieren positiv besetzter Wörter wie „Heimat“ in hetzerische Begriffe. Kampfausdrücke. Sprache ist politisch? In Zeiten wie diesen: mehr denn je.
Und deshalb möchte Daniel Schreiber ein Gegengewicht schaffen. Wie berichtet, hat der Autor das diesjährige Literaturfest München kuratiert, das am Mittwochabend feierlich eröffnet wurde. In diesen zehn Festivaltagen möchte er unter dem Motto „Sprachen der Liebe. Wie wollen wir leben?“ Momente der Zuversicht schaffen. Auch: die Möglichkeit des Sich-Besinnens darauf, was wir an der Demokratie lieben, in der wir uns so hübsch eingerichtet haben, die wir für so selbstverständlich nehmen. Und für die es jetzt gilt zu kämpfen.
„Wir brauchen Räume und Inseln, in denen wir Ruhe haben nachzudenken, Widerstand zu üben. Ich hoffe, dass das Literaturfest eine solche Insel der Ruhe, des Widerstands und des Trostes ist“, sagt Daniel Schreiber im Gespräch mit Tanja Graf, Chefin des Literaturhauses. Hier findet der Auftakt statt, doch wie immer wird es Veranstaltungen in der ganzen Stadt geben – von der Monacensia über das Seniorenheim bis zur Pfennigparade. Luxus für alle. Und eben nicht: elitär. Deshalb werden die meisten Veranstaltungen per Livestream im Internet übertragen, zuschalten völlig kostenlos. Und viele neue partizipative Formate wird es geben – „Sie werden erstaunt sein, wo Sie überall zum Mitmachen animiert werden“, meint Graf schmunzelnd.
„Shared Reading“ beispielsweise. Die so simple wie geniale Idee von Carsten Sommerfeldt wird heuer zum ersten Mal in München ausprobiert: Maximal 15 Menschen, die einander nicht kennen, lesen gemeinsam einen Text und sprechen im Anschluss miteinander darüber. Schlagen neue Seiten auf, nehmen andere Sichtweisen ein. Lesen als Energiezufuhr für sogenannte Soft Powers: Empathie, Einfühlungsvermögen, die Fähigkeit zum Perspektivwechsel. Und auch mal: schweigend lauschen. Welch schöner Gedanke von Daniel Schreiber zu einer fast in Vergessenheit geratenen Sache: „Zuhören ist eine besondere Sprache der Liebe.“
Es solle ein „poetisches, sinnliches, doch auch politisches Fest des Lesens“ sein, sagt der Kurator. Das ist ganz im Sinne von Münchens zweitem Bürgermeister Dominik Krause. In seinem Grußwort betont er: „Wir brauchen einen Gegenpol zur Sprache des Hasses, die gerade immer lauter wird.“ Literatur könne propagandistisch aufgeladen werden. Dabei sei sie im Wesenskern das genaue Gegenteil: „Sie schafft Empathie und Verbindung zwischen den Menschen.“
Auf diese Zwiespältigkeit, den mitunter gefährlichen Umgang mit Sprache geht auch Luise Neubauer in ihrer Keynote wortgewandt ein. Die Klimaaktivistin ermahnt eindringlich, in Sachen Klimawandel nicht nur Phrasen zu dreschen, der Wahrheit auszuweichen. „Seit es einen Klimadiskurs gibt, gibt es Versuche, ihn zu verschleiern.“ Virtuos erinnert sie an drei Momente der Sprachlosigkeit in ihrem eigenen Leben. Als die Stille unerträglich laut wurde. Und macht dadurch deutlich, welche Macht Sprache hat – und wie kraftlos das Fehlen aller Worte macht.
Die Welt brauche jetzt mutige Menschen. „Während unsere Lebensgrundlagen, unsere Demokratie und die Wahrheit im Sturm stehen, während der Hass immer lauter wird, brauchen wir Mut in der Sprache und Mut auf der Straße.“ Es brauche Mut, laut zu werden, und Mut, die Sprachlosigkeit anzuerkennen. Doch: „Mut ist nicht die Abwesenheit der Angst, es ist das Loslegen trotz der Angst.“
KATJA KRAFT
Bis 11. April
Infos, Tickets und Livestream unter literaturfest-muenchen.de