Manchmal erkennt man die ganz großen Musiker daran, was sie nicht machen. In einem Duo von Saxofon und Klavier begleitet der Pianist üblicherweise den Bläsersolisten, bis er selbst solistisch glänzen darf. Beim Repertoire achtet man auf Abwechslung: ein schnelles Stück, eine Ballade, vielleicht mal was Experimentelles.
Nichts davon bei Chris Potter (Tenorsax) und Craig Taborn (Piano) in der Münchner Unterfahrt, in der auch kein Stehplatz freiblieb. Potters dank stupender Technik unangestrengt wirkende chromatische Fantasien kontert, kontrastiert, komplettiert Taborn mit seinen eigenen Erkundungen des Materials. Er bevorzugt einen trockenen Anschlag, kaum Pedal, rhythmisch oft scharf akzentuierend, führt er die Stücke, entschieden beidhändig, bisweilen an die Grenzen der Tonalität. Das kann schroff anmuten, herausfordernd, aber nie verharren beide in einem ostentativ „avantgardistischen“ Bilderstürmergestus. Vielmehr entfalten die freigeistig uneitlen Virtuosen oft Momente großer Schönheit, immer aus den Dialogen, nie als Ergebnis bewusst gefälliger Anbiederung. Alles, von zarten Lyrismen bis zu exaltierten Klangballungen, kann in ein und demselben Stück passieren. Man folgt gebannt, überwältigt, fasziniert, beglückt.
REINHOLD UNGER