In Rausch und Bogen

von Redaktion

Michael Brandstätter über „Waldmeister“ am Gärtnerplatz

Michael Brandstätter dirigiert die Neuproduktion. © Silveri

Eine Provinzgesellschaft wird durcheinandergewirbelt: In „Waldmeister“ reicht dafür eine gleichnamige Bowle. Das Gärtnerplatztheater bringt die Operette zum 200. Geburtstag von Johann Strauss heraus. © Marie-Laure Briane

In der „Fledermaus“ ist es der Champagner, der zum kollektiven Rausch führt. In der zwanzig Jahre jüngeren Operette „Waldmeister“ reicht eine gleichnamige Bowle, um die Provinzgesellschaft durcheinanderzuwirbeln. Zum 200. Geburtstag von Johann Strauss Sohn, der heuer in seiner Geburtsstadt Wien mit einer Fülle an Operettenaufführungen, Konzerten, Ausstellungen, Symposien gefeiert wird, trägt auch München bei: „Waldmeister“, das fast unbekannte Werk aus dem Jahr 1895, wurde von Gärtnerplatz-Intendant Josef E. Köpplinger und dem stellvertretenden Musikdirektor Michael Brandstätter ausgegraben, um nicht nur in München, sondern auch bei den Festivitäten im Wiener Museumsquartier dreimal gezeigt zu werden.

Die beiden Österreicher, Köpplinger als Regisseur und Brandstätter als Dirigent, haben sich nach „ausgiebigem Brainstorming quer durch die ganze Strauss-Community“ für „Waldmeister“ entschieden und hatten damit alle Hände voll zu tun, wie Brandstätter erzählt. Während der Theaterchef eine neue Dialogfassung erstellte, die in den 1950er-Jahren angesiedelt ist, musste sich Michael Brandstätter ums musikalische Material kümmern: „Da gab es zum Teil fehlerhafte, uralte Noten aus dem Hause Bote & Bock, aber gottlob konnte ich auch mit dem Autograf arbeiten, das im Archiv der Freunde des Wiener Musikvereins aufbewahrt wird.“ Damit und mit dem sonstigen Material hat er sich ein knappes Jahr beschäftigt, um eine Fassung zu erstellen. „Es war für mich ein hochspannender Prozess, ich konnte mich so der Stilistik und Artikulation von Johann Strauss intensiv nähern.“

Brandstätter weist darauf hin, dass von vielen Operetten keine Partituren existieren und dass er und seine Kollegen oft aus Klavierauszügen dirigieren müssen. Und er erinnert an Theodor Adorno, der sinngemäß meinte, dass jede Aufführung eines Werkes die Kopie eines nicht vorhandenen Originals sei. Doch der aufwendige Noten-Produktionsprozess (natürlich wurde auch alles digitalisiert) habe sich gelohnt, stellte der Dirigent bei der ersten Orchesterprobe fest: „Da war ich doch sehr erleichtert.“

Ob man in Strauss‘ letztem Bühnenwerk einen Altersstil ausmachen kann? „Nicht wirklich, aber es driftet, wenn man vom Opernhaften der ‚Fledermaus‘ herkommt, alles wieder in eine einfachere Richtung, zur knapperen Form. Manches ist couplethafter, was auch erklärt, warum der Wiener Volksschauspieler Alexander Girardi die Hauptrolle des verschrobenen Botanik-Professors in der Uraufführung übernahm.“ Alles typisch Strauss: „Der feine Witz, der Charme, die kleinen Kommentare und Bemerkungen etwa von der Flöte, die Pizzikati in allen Farben – Strauss blieb sich in seiner Stilistik treu, er war vielleicht etwas fokussierter“, sagt der aus Graz stammende Dirigent.

Angesiedelt ist „Waldmeister“ ursprünglich in einer sächsischen Kleinstadt, aber in Köpplingers Neuinszenierung spielt das Geschehen in einer niederösterreichischen Provinzstadt in den Fünfzigerjahren. Während sich im ersten Akt die Verwechslungen anbahnen, sind im zweiten Akt alle von der Bowle, die eigentlich ein Lindenblütentee sein sollte, betrunken, und im dritten Akt lockern sich dann die Barrieren und die richtigen Paare finden zueinander.

Natürlich können nicht nur Österreicher ihren Strauss dirigieren. „Aber man wächst damit auf, ist davon umgeben, dazu kommt noch die Sprache“, sagt Brandstätter. „Nicht nur ihr spezieller Duktus, sondern auch der Inhalt. Wir Österreicher sind ja nicht so direkt, haben es nicht so mit dem knallharten Nein oder Ja. Wir bleiben meist lieber im Ungefähren, antworten hintergründig oder deuten nur an. Vielleicht hat das seine Wurzeln im strengen, höfischen Zeremoniell der Habsburger.“

Als Mittel, mit denen Strauss schon zu Lebzeiten in den USA wie in St. Petersburg die Massen begeisterte, zählt Brandstätter neben Mühelosigkeit und Raffinesse auch den ironischen Unterton bei dennoch ehrlicher Empfindung auf. Vor allem aber sei der Tanz ein Herzensöffner: „Musik muss man ja erwerben, lernen, aber Tanz und Bewegung sind archaische Grundausdrucksmittel des Menschen. Die Walzer, Galopps und Polkas von Strauss treffen diesen Kern. Auch wenn da zur Entstehungszeit noch etwas Höfisches drinsteckte, etwas Nobles, so war das nie blasiert, immer zugänglich. Eben höfisch und doch frech.“
GABRIELE LUSTER

Premiere

am 10. April;
Telefon 089/ 2185-1960.

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