Begehrtes Orchester im In- und Ausland: „Wir können nicht alle befriedigen“, sagt Intendant Florian Wiegand über die aktuelle Situation. © Co Merz, Marco Borrelli, Tobias Hase
Das Trostprogramm dauert immerhin zehn Wochen. So lange wird Lahav Shani in der kommenden Saison mit den Münchner Philharmonikern arbeiten, obwohl er noch gar nicht Chefdirigent ist. Amtsantritt ist bekanntlich erst im Herbst 2026. Dass er dennoch (Tourneen inklusive) so viel Zeit für sein neues Ensemble hat, zeigt zweierlei: Der Mann kann es kaum erwarten – und das Orchester ebenso, hat es doch den Begehrten schon zu so vielen Terminen überreden können. Schubert, Wagner, Schönberg, Mozart (mit ihm selbst am Flügel) oder Beethoven, unter anderem diese Meister hat sich Shani für diese Zwischensaison vorgenommen.
Auslastungszahlen über 90 Prozent
Wer schon jetzt fest mit im Boot sitzt, ist Florian Wiegand. Der neue Intendant muss zwar noch gelegentlich zu seiner bisherigen Wirkungsstätte, zu den Salzburger Festspielen, fahren, ist aber bereits komplett integriert. Und beneidenswert guter Dinge. Dazu führt er die Auslastungszahlen ins Feld (in den vergangenen Monaten bei 90,4 Prozent), den Anteil der Tickets für unter 30-Jährige (10,6 Prozent), die programmatische Spannbreite der Philharmoniker und die Nachfragen internationaler Veranstalter nach Tourneen: „Wir können nicht alle befriedigen.“ Eine Neuheit für die Münchner Philharmoniker: 2026 beginnen sie ihre dreijährige Residenz beim Osterfestival im südfranzösischen Aix-en-Provence – natürlich mit Lahav Shani.
Dass die Philharmoniker im innerstädtischen Vergleich das programmatisch und künstlerisch farbigste Orchester bleiben, bestätigt auch die kommende Spielzeit. Man nehme nur die Pult-Debüts: Dalia Stasevska, Elim Chan, Cristian Macelaru oder Barockspezialist Riccardo Minasi (mit Haydns „Schattenbach-Requiem“, dem direkten Vorläufer von Mozarts Version). Weitere Höhepunkte: Raphaël Pichon (siehe unten) koppelt Beethovens Siebte mit Rameau-Tänzen, Wayne Marshall und Solist Floris Mijnders widmen sich einer CelloBallade von Theo Mackeben (Filmkomponist und Uraufführungsdirigent der „Dreigroschenoper“), Antonella Manacorda und Pianist Igor Levit führen Brahms‘ zweites Klavierkonzert auf, Andrew Manze stemmt Elgars „The Dream of Gerontius“, das britische National-Oratorium. Außerdem konnten die Philharmoniker Jakub Hrusa der direkten Konkurrenz abluchsen, der Dirigent ist normalerweise Gast beim BR-Symphonieorchester.
Ganz folgerichtig läuft die nächste Saison unter dem Motto „Entdeckungen“, wobei der Begriff fast für jede Spielzeit (nicht nur) der Philharmoniker gelten könnte. Einer der Spielzeit-Schwerpunkte ist die britische Musik, ein weiterer kreist um vier zeitgenössische Komponistinnen. Außerdem gibt es zwei 100. Geburtstage zu feiern, nämlich die der Komponisten Luciano Berio und Hans Werner Henze. Beide waren dem Orchester eng verbunden und standen auch in München am Pult.
Mit ihren schon traditionellen „Wandelkonzerten“ wollen die Mitglieder der Philharmoniker in die Stadt ausschwärmen, in Läden, Palais oder an andere ungewöhnliche Orte. Selbstverständlich gibt es weiterhin die Programme unmittelbar nach den „normalen“ Konzerten im Foyer der Isarphilharmonie, zu denen sich manche Solisten und Dirigenten gern bereit erklären. Zu den Extras zählen Jugend- und Kinderkonzerte, der „Symphonic Mob“ für Laien und eine ganze Reihe von Kammermusik-Abenden.
Nur Vages zur finanziellen Situation
Alles in Butter, wie es scheint. Doch auch die Philharmoniker leiden unter der Spardebatte. Zwei „Konsolidierungsrunden“ mussten 2024 bewältigt werden mit „hohen sechsstelligen Beträgen“, wie es Marek Wiechers, Stadtdirektor und Vertreter des Kulturreferats, formulierte. Ansonsten blieb er vage, was die finanzielle Situation betrifft. Man befinde sich auf einer Reise, auf der es „vielleicht enger werden wird“. Hauptsache, die Programmatik des Orchesters habe nicht darunter gelitten. Intendant Florian Wiegand verwies auf die „gesunde Einnahmestatistik“ der Philharmoniker inklusive „profitabler Tourneekonzerte“. Außerdem wolle man sich verstärkt um Sponsoren bemühen, das sei er ja von seinem bisherigen Job als Konzertchef der Salzburger Festspiele gewohnt.
Indirekt übten Wiegand und Wiechers Kritik an Christian Stückl, der vor einiger Zeit angesichts der Kürzungen vor einer Schließung des Volkstheaters warnte. „Theaterleute sind impulsiver als Konzertleute“, sagte Wiegand. Und Wiechers: „Ich hätte es nicht so wie Stückl formuliert.“
MARKUS THIEL