Außergewöhnliche Accessoires: Merce Cunningham verwendete für seine Tanz-Performances die unterschiedlichsten Kostüme – etwa eine Bären-Jacke (re.). Der Saal im Untergeschoss des Museums Brandhorst ist dem Chroreografen gewidmet. © M. Schlaf (3), O. Bodmer
Hingucker: Robert Rauschenbergs Collage und eine Zielscheibe von Jasper Johns.
Will man uns im Brandhorst-Museum jetzt einen Bären aufbinden? Sicher nicht, denn das, was da im Entree von der Decke herabhängt, ist ja nur ein Bärenfell. Genauer: ein echter Bärenpelz-Mantel, der einst als Kostüm in einer Tanz-Performance von Merce Cunningham fungierte und somit dem Ausdruck „Hier steppt der Bär“ eine überraschend konkrete Bedeutung verliehen haben muss. Das heute ökologisch herrlich unkorrekte Requisit ist Teil der Ausstellung „Fünf Freunde“ – was nicht umsonst ein wenig nach dem Titel eines Kinderbuchs klingt. Schließlich erzählt die Schau tatsächlich von den Abenteuern einer Rasselbande, die sich um 1950 zusammenfand, nicht als programmatisch ausgerichtete Künstlergruppe, sondern als privater Freundeskreis (teils mit homoerotischen Beziehungen).
Neben den drei Malern Robert Rauschenberg (1925-2008), Cy Twombly (1928-2011) und Jasper Johns (geb. 1930) gehörte eben der Tänzer und Choreograf Merce Cunningham (1919-2009) zu dieser Spezl-Truppe. Deren eigentlichen geistigen Mittelpunkt bildete aber der geniale Komponist John Cage (1912-1992), dessen Werk auf der Grenze zwischen Musik und Konzeptkunst balanciert. Jeder einzelne aus diesem Avantgardisten-Quintett sollte bald auf je eigene Weise einen prägenden Beitrag zur Entwicklung der Künste in den kommenden drei Jahrzehnten leisten.
So gelten Johns’ ikonische Bilder der US-Flagge oder bunter Zielscheiben als Startschuss der Pop-Art, auch wenn sie in ihrer gestisch-subjektiven Malweise dem Abstrakten Expressionismus noch näher scheinen als der Attitüde steriler Anonymität in Werken Warhols oder Roy Lichtensteins. Ähnliches gilt für den Schmuddel-Barock von Rauschenbergs Bild- und Objektcollagen, die schon damals den bizarren Overkill medialer Dauerberieselung spiegelten. Seine groteske Skulptur „Odaliske“ (1955), die von einem ausgestopften Hahn bekrönt wird, ist einer der komischen Höhepunkte der Ausstellung. Ganz gegensätzlich dazu die unironische Formensprache Cy Twomblys: Seine filigranen Kritzel-Zeichen ähneln manchmal äußerlich den Partituren John Cages, mit dem er den Hang zur Evokation von Stille und Leere teilt.
Merce Cunningham schließlich entwickelte den Tanz, überspitzt gesagt, zur Kunst der expressiven Verrenkung weiter – die einzig angemessene Weise, um die Erfahrung einer verrenkten Welt körpersprachlich zu artikulieren, wie man an zahlreichen alten Filmaufnahmen in der Schau sehen kann. Diesem Choreografen und seiner Company ist der Raum im Untergeschoss gewidmet, ganz in Schwarz gehalten, einem Theatersaal ähnlich. Und sogar eine Art Bühne ist dort installiert, auf der bemalte Quader aus Klarsichtfolie aufgebaut sind: Jasper Johns’ Bühnenbildelemente für eine Cunningham-Performance von 1968.
Auch Rauschenberg entwarf Kostüme und Bühnenbilder für den Tänzer, aber so konkret wie in diesen Fällen ist eine Zusammenarbeit zwischen den Freunden nur selten greifbar. Denn auch wenn die Ausstellungsmacher sich mit bewundernswertem Fleiß bemühten, gegenseitige Inspirationen der Künstler nachzuzeichnen – das Ergebnis kommt oft nicht übers Anekdotische hinaus, weil alle fünf Persönlichkeiten natürlich zu stark und eigenwillig waren, um mehr als nur äußerliche ästhetische Berührungspunkte zu entwickeln. Cage und Cunningham etwa machten es sogar zum Formprinzip ihres Schaffens, eine „Kooperation“ zu vermeiden: Obwohl Cage stets die Musik zu Cunninghams Tanzstücken beisteuerte, wurden Klang und Choreografie völlig unabhängig voneinander geschaffen, um dann im Zusammentreffen beider den reinen Zufall am Werk zu sehen. Mit Offenheit für den Zufall sollte man auch durch die Ausstellung gehen: Gerade weil sie so perfekt konzipiert ist, muss der Besucher durch „schlampige“ Betrachtungsweise etwas vom anarchischen Geist der fünf Freunde retten. Wenn das gelingt, hat man ein „bäriges“ Kunsterlebnis.
ALEXANDER ALTMANN
Bis 17. August
Täglich außer Mo., 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr; Katalog
(Schirmer/Mosel): 38 Euro.