Gunta Stölzls Bauhaus-Ausweis: Sie war dort die erste Frau mit Meistertitel. © Archiv
Blick auf den Thora-Schrein in der Reichenbach-Synagoge: Sie wird 2025 wiedereröffnet. „Einen der hippsten Orte der Republik“, kündigt Rachel Salamander an. © Marcus Schlaf
„Was für ein Geschenk, dass Ariel Aloni zur Übergabe der Stoffe seiner Großmutter Gunta Stölzl aus New York in die Synagoge Reichenbachstraße gekommen ist“, sagt Rachel Salamander, die den Enkel gestern in München begrüßte. © Marcus Schlaf
Vier Worte benötigt Ariel Aloni, um zu schildern, was kaum in Worte zu fassen ist. „The Magic just happened“, sagt der Enkel der Bauhaus-Künstlerin Gunta Stölzl, der für den Termin an diesem Mittwoch von New York nach München gereist ist. Das Wunder ist einfach geschehen.
Ein Wunder – nichts anderes ist es, wenn im Lauf des Jahres die Synagoge an der Reichenbachstraße fertig saniert ist und wiedereröffnet wird. Sie ist ein Baudenkmal der Neuen Sachlichkeit, 1931 errichtet von Gustav Meyerstein. Ein Wunder auch, dass sie die Pogromnacht 1938 – und alles, was folgen sollte – überstanden hat. Schwer beschädigt zwar, doch wurde das Gotteshaus nicht niedergebrannt, dafür war die Bebauung im Gärtnerplatzviertel zu eng.
Das Wunder jedoch, von dem Aloni sichtlich bewegt spricht, ist, dass sich an diesem Tag nach mehr als 90 Jahren ein Kreis schließt: Er, der 1958 in Tel Aviv geboren wurde, hat drei handgewebte Stoffe seiner Großmutter im Gepäck. Das grün-blaue Textil wird zum Vorhang vor dem Thora-Schrein umgearbeitet, der wiederum soll mit einem Stoff in kräftigen Rottönen ausgekleidet werden, in den Stölzl Symbole eingewebt hat, die an Schabbat-Kelche erinnern.
Von einem „unglaublichen Glücksfall für München, die Synagoge und alle Kunstinteressierten“, spricht Rachel Salamander. Sie hat 2013 einen Verein zur Rettung und Wiederherstellung der „Reichenbachschul“ gegründet. Diese sei ein „radikal minimalistischer Bau“ gewesen, für den Architekt Meyerstein ein „geniales Licht- und Farbkonzept“ entwickelt habe. Salamander und ihre Mitstreiter knüpfen daran an.
Klar sei dabei gewesen, dass ein klassischer Vorhang für einen Thora-Schrein, der oft aus schwerem Samt und reich bestickt ist, nicht zum ursprünglichen ästhetischen Konzept des Hauses gepasst hätte. Wie berichtet, war Gunta Stölzl, die 1897 in München geboren wurde, eine bedeutende Textilkünstlerin des Bauhauses. Nach ihrer Ausbildung an der Königlichen Kunstgewerbeschule in München wurde sie dort als Studentin aufgenommen. Im Jahr 1925 kehrte Stölzl ans Bauhaus zurück, das inzwischen von Weimar nach Dessau umgezogen war. Sie war die einzige Frau, die den Meistertitel der Kunstschule trug, und leitete von 1927 an die Weberei. Stölzl heiratete 1929 den BauhausArchitekten Arieh Sharon; die gemeinsame Tochter Yael, Alonis Mutter, wurde geboren. Während Sharon nach Palästina emigrierte und an der „Weißen Stadt“ in Tel Aviv mitbaute (wie übrigens auch Gustav Meyerstein), rettete sich Gunta Stölzl 1931 in die Schweiz. Ihre Textilkunst findet sich heute in den bedeutenden Museen der Welt – und eben künftig auch in der Reichenbachstraße. Seine Mutter Yael sei das „Archiv der Familie“ gewesen, erinnert sich Ariel Aloni. Sie habe die Arbeiten der Großmutter aufbewahrt.
Als Salamander dem Enkel von ihrem Plan berichtete, habe dieser „sofort ein großzügiges Angebot gemacht“, erzählt sie. „Das ist eine unglaubliche Geschichte. Wenn sie nicht passieren würde – man könnte sie nicht erfinden.“ So ist es.
MICHAEL SCHLEICHER