Mit langem Nachhall

von Redaktion

Die chilenische Saxofonistin Melissa Aldana gastierte im Night Club des Bayerischen Hofs

Sie ist eine Meisterin der kontrollierten Expressivität: die Tenorsaxofonistin Melissa Aldana. © Eduardo Pavez

Es ist nicht gerade so, dass man in New York händeringend auf eine Saxofonistin aus Chile wartet, weil man an diesem prototypischen Jazzinstrument Nachwuchssorgen hätte. Aber selbst in einem Meer von Talenten fallen die besonderen Persönlichkeiten auf – so wie Melissa Aldana. Seit die heute 36-Jährige mit Anfang 20 in den Big Apple zog und gleich die renommierte Thelonious Monk Competition gewann, weist ihre Erfolgskurve stetig nach oben. Sie ist beim legendären Label Blue Note unter Vertrag, ziert die Titelseiten der Fachmagazine, bespielt renommierte Festivals. Die jüngste Europatournee führte die Tenorsaxofonistin nun in den Night Club des Münchner Hotels Bayerischer Hof.

Mit ihrem runden, Kraft und Wärme, Souveränität und Verletzlichkeit verbindenden Ton formt Aldana aus dem melodischen und harmonischen Material – neben Eigenkompositionen selten gespielte Covers, etwa von der brasilianischen Musiklegende Hermeto Pascoal – unprätentiöse, aber stringente und letztlich packende Statements.

Sie ist eine Meisterin der kontrollierten Expressivität, deren Spiel dem Schreiben einer Autorin gleicht, die ihr Vokabular beherrscht, ihre Charaktere sicher führt und unter Verzicht auf spektakuläre Plot-Twists Geschichten mit allmählicher Sogwirkung und langem Nachhall erzählt. Darin ähnelt sie ihrem Pianisten Pablo Held. Als sie vergangenes Jahr einige Konzerte als Gast mit dessen Trio spielte, war sie so begeistert, dass sie den Deutschen in ihr Quartett holte, wo er nun auch kompositorisch zum Band-Repertoire beiträgt.

Das ist reifer, stilsicherer Jazz, der im zeitgenössischen Mainstream seinen eigenen Flow sucht und findet – und deutlich mehr Publikum verdient hätte als den Weg in den Night Club gefunden hatte.
REINHOLD UNGER

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