PREMIERE

Alles wie immer

von Redaktion

Die Polit-Oper „Chowanschtschina“ bei Osterfestspielen Salzburg

Männerkampf um die Staatsmacht: Iwan Chowanskij (Vitalij Kowaljow, re.) und Dosifej (Ain Anger). © Inés Bacher

Die schlimmste Koalition ist die ganz große, hier aus Staatsmacht, Opposition und Kirche. Wir pfeifen auf die Ideologie, signalisieren diese Männer – Hauptsache, Kontrolle und Bereicherung. Väterchen Dosifej, Kampfgeistlicher und eifernder Prophet, spricht’s offen aus: „Schismatiker, wir und ihr machen Russland wieder mächtig.“ Man kann dem Staat in „Chowanschtschina“ beim Zerbröseln zusehen. Keine Oper im klassischen Sinn, keine gewohnte Dramenstruktur. Sperrig, sprunghaft ist Modest Mussorgskis letztes Stück, das in die Zirkel des Zarenreichs blickt, dabei Liebesgeschichten streift, hier mal Anteil nimmt, dort sich vor der Politik ekelt. Ein Splitterwerk, zusammengehalten von grandioser Musik – die nicht mal komplett von Mussorgski stammt.

Viele Vorzeichen scheinen gegen eine Aufführung bei den Salzburger Osterfestspielen zu sprechen. Dort, wo die Opernkulinarik ihr letztes, teures Refugium gefunden hat. Und nun das: Jubel, Standing Ovations. Wer Historienschinken aus dem Ostreich stemmt, man denke auch an „Boris Godunow“, der meint ja immer Dasselbe: Nichts hat sich geändert seit der Zarenzeit. Wozu sich Putin- oder Stalin-Bilder als winkende Zaunpfähle empfehlen. Auch hier, in der Inszenierung von Simon McBurney, grüßt die Gegenwart, nachdem sich anfangs ein muffiger Brokatvorhang gehoben hat.

McBurney, auf der Kinoleinwand und im Theater aktiv, jetzt immer häufiger im Regiestuhl anzutreffen, tappt anfangs in die Realismusfalle. Doch das ändert sich, ziemlich stark sogar, nach der Pause. McBurney verschränkt die Epoche vor der Machtergreifung Peters des Großen mit dem Heute, mischt historische Kostümzitate von Christina Cunnigham mit einer Szenerie von Rebecca Ringst, in der sich Anzugmänner in metallischen Kulisssen tummeln. Ein Spiel mit den Zeiten, klar und unaufdringlich.

Weite Assoziationsräume öffnen sich, und manchmal werden sie auch eng, wenn das darbende Volk bis an die Rampe gedrängt wird. Die Geschichte des Aufrührers Iwan Chowanskij und seines Sohnes Andrej, des zarentreuen Golizyn sowie von Dosifey, Führer der Altgläubigen, entrollt sich als wie selbstverständliche Spiegelung von Historie in der Jetztzeit. Als Iwan, von Drogen betäubt und von Frauen umtanzt, in seiner Wanne ertränkt wird, darf man an Marat oder Agamemnon denken. Und bei Marfa, Altgläubige und mit Andrej einst liiert, fallen Kassandra, Magdalena und Mystikerin in einer Person zusammen.

Vorausgesetzt, man hat eine Solistin wie Nadezhda Karyazina. An ihrem reichen, farbenreichen Mezzo kann man sich nicht satthören, dazu kommt eine überwältigende szenische Präsenz zwischen Zärteln und archaischer Wucht. Sie und Vitalij Kowaljow bleiben die Einzigen auf Festspielformat. Letzterer, mit einem Bass von edler Schwärze gesegnet, ideal fokussiert, nie forciert. Kowaljow kann sich, ob szenisch oder vokal, mühelos und intelligent Raum erobern. Die übrigen sind gute Typen, aber oft zu klein besetzt. Thomas Atkins (Andrej) hält mit hellem, stechenden Tenor einigermaßen mit. Ain Anger ist als Erscheinung einschüchternder als seine diffuse Tongebung.

Schlackenlos, schlank und geschärft ist das, was Esa-Pekka Salonen mit dem Finnischen Radiosymphonieorchester produziert. Statt Klischee liefern die Finnen Clarté. Das Orchester springt auch in der Dramatik leicht an und ist reaktionsstark. Slowakischer Philharmonischer Chor und Salzburger Bachchor singen so muskulös wie präzise. Man spielt wie häufig die Instrumentierung von Schostakowitsch mit dem Strawinsky-Schluss, Mussorgski konnte „Chowanschtschina“ bekanntlich nicht vollenden. Zwischen manchen Szenen wummert und dröhnt es aus Lautsprechern, manchmal zirpen Vögel: Vorboten für eine „Neukomposition“, mit der Schostakowitsch- und Strawinsky-Partitur gekittet werden.

Gerard McBurney, Bruder des Regisseurs, schuf daraus eine Trümmermusik in Zeitlupe, abstürzende Klänge bis ins Geräuschhafte, zwischen die sich ein unbekanntes Lied Andrejs vor seinem Tod mischt. Der kommt für alle, als sich die Altgläubigen mit Koffern aufmachen ins Dunkel und plötzlich kiloweise Asche aus dem Bühnenhimmel fällt. Mehr braucht es nicht als Andeutung, gerade das macht die Aufführung stark. Die wandert nun weiter an die New Yorker Met. Auch dort wird das Publikum ohne Trump-Bilder verstehen.
MARKUS THIEL

Weitere Vorstellung

am 21. April, Infos zum sonstigen Programm und Karten unter www.osterfestspiele.at.

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