Lächerlich: George Grosz karikierte Hitler bereits 1923.
Individuell: Im 20. Jahrhundert begann man, einzelne Möbel zu kaufen. Zuvor bestellte man meist ein ganzes Zimmer.
Innovativ: Designer wie Paul Theodore Frankl orientierten sich bei Objekten wie dem Regal „Bookcase Skyscraper“ (Mi.) an der Architektur von Hochhäusern. © Marcus Schlaf (3)
Und wieder fragt man sich: Wie wäre das alles weitergegangen, hätte es nicht diese abartige Zäsur gegeben? Wären die Nationalsozialisten in Deutschland nie an die Macht gelangt, hätten nicht in allen Lebensbereichen gewütet und zerstört; hätte das, was vor 100 Jahren in bildender Kunst, Architektur und Gestaltung begann, voller Kraft weiter wachsen und blühen dürfen: Wie würden wir heute leben? Hätte sich der positive, soziale Geist, der den Aufbruch in die Moderne damals prägte, erhalten? Oder stünden wir heute genauso da, wo wir stehen: inmitten größter politischer Instabilität und rasantem gesellschaftlichem wie technischem Wandel – wie Kinder völlig überfordert, doch keine Eltern in Sicht, die den Laden überzeugend lenken.
Die Werke aus vier Sammlungen harmonieren perfekt
Wer die Ausstellung „4 Museen – 1 Moderne“ in der Pinakothek der Moderne betritt, erkennt also sogleich ungute Parallelen zwischen den 1910er-Jahren und der Gegenwart. Heute wie damals gilt: Wer Halt sucht, findet ihn mitunter bei denen, die am lautesten die einfachsten Lösungen krakeelen. Eine Hitler-Karikatur erinnert daran, George Grosz zeichnete sie bereits 1923. Ein paar Meter weiter hängen Fotografien aus August Sanders Serie „Menschen des 20. Jahrhunderts“. Seit den 1910er-Jahren porträtierte der Künstler Leute aus allen Schichten, Altersklassen, geografischen Ecken des Landes. Und spiegelt in diesen mehr als 600 Fotografien die Gesellschaft seiner Zeit wider. Die physischen Wunden, die der Erste Weltkrieg vielen der Menschen zugefügt hat, man erkennt sie in den Narben; die seelischen, sie fängt Sander in den Blicken der Frauen, Männer, Kinder ein.
Und dann sind da die vielen innovativen Design- und Architekturideen aus dieser Zeit. Sie alle eint der Wunsch, freier, luftiger, gemeinschaftsbildender zu entwerfen. Die soziale Frage – Wohnraum schaffen, Hygienebedingungen verbessern – spielte für die Künstlerinnen und Künstler eine große Rolle. Faszinierend auch Paul Theodore Frankls Bücherschrank von 1928. „Bookcase Skyscraper“ nannte er das Modell, das in der Schau steht. Unverkennbar orientierte Frankl sich nicht nur dem Titel nach an den ersten Hochhäusern, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts gebaut wurden – und genau wie dieser Tage in München in Bezug auf das Paketpostareal mächtig für Streit sorgten.
Grafik, Fotografie, Design, Architektur: In dieser Gemeinschaftsausstellung kommt es zusammen, das pralle Leben, das in den vier Sammlungen der Pinakothek der Moderne steckt. Zu sehen ist diese Reise, die sich wie eine zurück in die Zukunft anfühlt, in der Neuen Sammlung, die 1925 als erstes staatliches Designmuseum in Deutschland eröffnet wurde. Zum Jubiläum beschenkt die Pinakothek der Moderne uns mit Höhepunkten aus moderner Kunst, Architektur und Design der 1910er- bis 1930er-Jahre aller vier Museen des Hauses.
Erst begeistert von derartiger Innovationslust, dann ernüchtert ob des verheerenden Endes dieser bedeutenden Epoche, geht man durch die vier Räume, die so harmonisch eingerichtet wurden. Wieder sind wir an einem Wendepunkt, wieder könnte man verzweifeln angesichts der Welt, die sich viel zu schnell zu wandeln scheint. Oder wir besinnen uns auf das, was andere vor uns schufen. Wie viel positive Energie da ist, wie viel kreative Kraft, wie viel Erfindungsgeist. Enorm, was der Mensch auch im Guten zu schaffen fähig ist. Das Schlimmste, was passieren kann? Ist nichts.
KATJA KRAFT
Bis 28. September
Täglich (außer Mo.) 10 bis 18 Uhr,
Do. bis 20 Uhr.