Esa-Pekka Salonen dirigierte Sibelius und Eigenes. © IMG
Über Zugaben schreibt man keine Kritiken, über diese schon. So hat man den „Valse triste“ von Jean Sibelius, Wunschkonzerthit für Melancholiker, selten gehört. Nicht als tranige Trauerbesessenheit, sondern zügig, erfrischt, tatsächlich als Tanz. Finnen suhlen sich ja nicht in Depression, die können ganz gut feiern – auch das spricht aus der Deutung von Esa-Pekka Salonen und dem Finnischen Radio-Symphonieorchester: Authentischer geht es kaum.
Die letzten Minuten dieses Konzerts stehen für den ganzen Abend. Naturverbundenheit, Introspektion, Elegisches, das hört man aus der zweiten Symphonie von Sibelius schon auch heraus. Entscheidender ist aber anderes: Wie hier Klangschichten genau definiert sind, wie Kontraste ausgereizt werden, wie Substanz ohne Verdickung vorgeführt wird. Im Großen Festspielhaus dürfte sich mancher die Ohren gerieben haben: Die Radiosymphoniker aus dem hohen Norden hatte man noch gar nicht auf dem Radar.
Mehr als eine Zwischenmahlzeit ist also das Finnische Ensemble bei den Salzburger Osterfestspielen, bevor ab dem nächsten Jahr die Berliner Philharmoniker als Gründungsorchester und auf Dauer zurückkehren. Ein herausragendes Ensemble ist wieder zu erleben, wie schon in der Opernpremiere von Mussorgskis „Chowanschtschina“ (wir berichteten). Präzise, balanciert, wendig und mit exzellenten Bläsersolisten – die ihr Können ohne Gockeln vorführen. Weltspitze, die sich noch durchsetzen muss: Die Osterfestspiele haben heuer eine Einnahme-Delle zu verkraften. Das sieht man in diesem Konzert an den ungewöhnlich vielen freien Plätzen. Und das hört man auch aus dem Geraune rund um die Hofstallgasse: Um das Große Festspielhaus zu füllen, wurden offenbar Tickets erheblich billiger und intern abgegeben. Was, dialektisch gedacht, gar nicht schlimm ist. Auf diese Weise kommen auch Schichten abseits der Klunker-Gemeinde in den Genuss der Abende. Bei Nikolaus Bachler, Intendant der Osterfestspiele und früher in derselben Funktion an der Bayerischen Staatsoper, ist davon auszugehen: Die maue Nachfrage hat er mittelfristig gesehen eingepreist. Und kann sich nun rühmen, das GalaPublikum mit diesem Orchester bekannt gemacht zu haben.
Vor der Pause dirigiert Salonen Eigenes, sein 2017 uraufgeführtes Cello-Konzert. Ein sehr atmosphärischer, fantasievoll instrumentierter, wirkungsbewusster 45-Minüter. Aus einer ätherischen Wolke erhebt sich im ersten Satz das Solo-Instrument. Sehr kantabel wird dieses geführt, Senja Rummukainen spielt das mit Noblesse, Stilbewusstsein und im Ton nie zu holzig. Manchmal, mehr als ein Gag ist das, wird das Cello elektronisch vervielfältigt, spielt quasi auf einem selbst geschaffenen Klangbett weiter. Der Mittelsatz ist eine Meditation, ein Wandeln durch Leerstellen und am Rande der Hörbarkeit, das Finale geriert sich (unter anderem mit Bongo-Trommeln) als dezenter Rausschmeißer, bevor sich die Solo-Linie in der Stratosphäre verliert. Tonalität und traditionelle Harmonien dürfen sein: eine Moderne, die sich nicht krampfhaft als solche versteht. Jubel – und auf Wiederhören am selben Ort?
MARKUS THIEL