„Die wollen nur Halbidioten“

von Redaktion

Markus Hinterhäuser über Kultur in Zeiten des Rechtsrucks

„Ich bin gegen stereotype, reflexartige Reaktionen. Den extrem Rechten geht es um etwas Strategisches“, sagt Markus Hinterhäuser, Intendant der Salzburger Festspiele. © Franz Neumayr

Das Flüchtlingsdrama „Die griechische Passion“ zeigten die Festspiele vor zwei Jahren. © Monika Rittershaus

Auch die Kultur wird von Weltkrisen überrannt. Wie kann sie auf das Erstarken des Rechtsextremismus reagieren? Wie kann sich die Kunst behaupten angesichts einer Politik, die sich immer weniger für sie interessiert? Ein Gespräch mit Markus Hinterhäuser, Intendant der Salzburger Festspiele.

Bei Ihrer Pressekonferenz im vergangenen Jahr haben Sie „vor dem drohenden Ende der liberalen Demokratie“ gewarnt. Sind Sie optimistischer oder pessimistischer geworden?

Optimismus gehört ohnehin nicht zu meinen herausragenden Eigenschaften. Ich habe damals einfach bestimmte Tatsachen konstatiert. Und eine davon ist der ungeheuerliche Umgang mit Dingen, die zu verschwinden drohen – dazu gehört die Demokratie. Wenn Politik dazu da ist, um aus der Bevölkerung Halbidioten zu machen, kann etwas nicht stimmen. Amerika bietet gerade die Apotheose der politischen Vulgarität.

Seit 3. März steht die Bundesregierung in Österreich – ohne Beteiligung der FPÖ. Ist das Land gerade noch mal davongekommen?

Wir sind wirklich knapp vorbeigeschrammt an einer mehr als bedenklichen Situation. Vorbeigeschrammt heißt nicht, dass sie aus der Welt ist. Die Regierungsparteien müssen sich endlich überlegen, wie man eine massive rechte Tendenz politisch bekämpft. Ich wurde kritisiert, als ich dem Schauspieler Cornelius Obonya „Empörungsrituale“ vorgeworfen habe. (Er hatte dazu aufgerufen, wegen des Zusammenwirkens von Schwarz-Blau während der Rede von Landeshauptmann Haslauer die Felsenreitschule zu verlassen, Anm. d. Red.) Ganz klar gesagt: An der FPÖ ist mir wirklich alles zuwider. Aber ich bin gegen stereotype, reflexartige Reaktionen. Den extrem Rechten geht es um etwas Strategisches. Die wissen genau, was sie wie in welchem Moment und in welcher assoziativen Diktion sagen. Reflexe darauf reichen nicht. Und all das ist ja keine österreichische Besonderheit. Europa ist im Würgegriff der Rechtspopulisten.

Und wie sieht eine intelligente Reaktion zum Beispiel der Kulturszene aus?

Ich wünsche mir, dass sie mehr unternimmt. Aber in der Realität ist die Wirkung wohl eine bescheidene. Was mir mehr Sorge macht, ist das gesamte System. Die großen Tanker wie die Salzburger Festspiele können die Situation irgendwie überstehen. Aber kleinere und mittlere Institutionen, die unendlich viel für die Kultur tun, sind gefährdet. Wenn die einstürzen, bricht die ganze Statik zusammen. Übrigens geht es auch schlicht um Arbeitsplätze. Bei uns sind etwa 260 Menschen beschäftigt. Davon hat ein großer Prozentsatz nichts mit der Kunst zu tun. Vollkommen normale Berufstätige von der Tischlerei bis zur Reinigung. Die haben alles Recht der Welt, ihre Familien durchs Leben zu bringen.

Meist hört man aus der Kultur, unsere Probleme würden seit den antiken Theaterstücken aufgegriffen. Macht man es sich da nicht zu leicht? In „Mephisto“ von Klaus Mann über den Mitläufer Gustaf Gründgens heißt es, man dürfe sich nicht hinter Shakespeare verstecken.

Darum geht es nicht. In diesen teils alten Stücken haben wirklich die wesentlichen Untersuchungen einer Gesellschaft stattgefunden. Und wenn wir sie uns vornehmen, haben wir die Pflicht, sie erneut zu untersuchen…

…aber wenn die Mittelmäßigkeit zunimmt: Kann überhaupt noch begriffen werden, was die Stücke uns heute sagen?

Ich weiß nicht, ob eine solche Transferleistung messbar ist. Trotzdem ist es unsere Pflicht, ein Publikum, das wir einladen, zu fordern. Natürlich darf man eine gute Zeit haben auf seinem Sitzplatz. Aber die ist auch gut, wenn man gefordert wird. Zwei Beispiele: Bei uns gab es Opernaufführungen, Martinus Flüchtlingsdrama „Die griechische Passion“ und Weinbergs „Der Idiot“ über einen angeblichen, von Mitgefühl beseelten Außenseiter, die etwas ausgelöst haben. Werke, die keine Blockbuster sind. Und die die intensivste Aufnahme erfahren haben, die man sich vorstellen kann.

Nun ist der Planungsvorlauf in der Oper groß. Verändern Sie trotzdem Ihren Spielplan, um auf Aktuelles zu reagieren?

Wenn ich 220 000 Besucherinnen und Besucher habe, kann ich nicht ständig auf ein politisch-moralisches, vielleicht sogar agitatorisches Programm zielen. Ich will nicht für provokative bis einfältige Momente sorgen. Aber ich kann für Momente sorgen, auch auf poetische, leise, hintergründige Weise, die zum Denken anregen. Wir zeigen im Sommer Händels „Giulio Cesare“. Ein Stück, in dem jeder gegen jeden kämpft. Total nihilistisch. Und es sagt uns: Freunde, diese Kämpfe sind total sinnlos.

Ist Salzburg nicht auf der Insel der Seligen? Ein Intendant an einem kleinen Haus muss doch anders programmieren – und zum Beispiel „My fair Lady“ zeigen, damit die Finanzierung gesichert ist.

Aber es ist im Gegenteil erstaunlich, wie mutig die sogenannten kleinen Häuser vorgehen. Schauen Sie sich nur die Spielpläne an. Große Hochachtung dafür!

Gab es für Sie schon mal Gegenwind seitens der Politik? Im Stile von „Mach‘ doch mal was Populäres“?

Es gab nie einen inhaltlichen Einfluss, auch nicht vonseiten der Sponsoren. Ich habe hier Freiheit – aber eine, die kontrolliert sein muss. Ich muss ja Parameter erfüllen und zum Beispiel ziemlich große Häuser bespielen und füllen.

Die Kultur kann auch anders reagieren. Christian Tetzlaff und András Schiff boykottieren die USA.

Ich bin ja sehr stark mit dem Phänomen des Boykotts konfrontiert, wenn Sie an die Auftritte von Teodor Currentzis denken – die viele kritisieren. Jeder kann angesichts der Vulgarität in den USA seine persönliche Entscheidung treffen. Aber wer über solche Themen spricht und zum Beispiel in Italien lebt, in einem Land, das Immigranten in albanische Lager abschiebt… Es ist eine Frage des Maßstabs. Und ob die Boykotte etwas bewirken? Abgesehen davon: Es gibt keine Kollektivschuld. Und es gibt vielleicht in den USA gerade jetzt Menschen, die gern Bach von András Schiff hören möchten. Auch weil diese Musik etwas Wichtiges auslösen könnte.

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