Inspiriert von Astrologie und von William Forsythe ist „Traces of you and us“ (Choreografie: Matthew Jared Perko in Kooperation mit den Tänzern und Tänzerinnen). © Marie-Laure Briane
Der Applaus ließ das Münchner Gärtnerplatztheater geradezu erbeben. „Sparks“ (der Plural des englischen Wortes für Funken) nennt sich dieser umjubelte Abend, choreografiert ausschließlich von sieben Mitgliedern des Tanzensembles. Also ein Förderprogramm? Jedenfalls eine Unternehmung, neue schöpferische Talente zu entdecken. Der Eintritt war frei, die Vorstellung ausverkauft – und am Ende erfolgreich auch Tanzchef Karl Alfred Schreiner mit seiner Bitte um Spenden: Auf diese Weise entdecke und helfe man zugleich dem choreografischen Nachwuchs.
Der Nachwuchs zeigt sieben Choreografien
Und der präsentierte sich hier ausgesprochen professionell. Unterstützt von vielen „Profi-Helfern“ des Hauses. Wunderschön die meist weit offene Bühne: nächtlich düster, bewölkt oder durchstrahlt von nebligen Lichtbündeln (Licht: Johannes Lübke), im Hintergrund auch filmisch durchwandert von sandigen Landschaften. Und dann zu jeweils verschiedenen Klangräumen, trockenen Rhythmen, schwebenden Melodien und hingehauchten Songs sieben Choreografien.
Es beginnt mit Emily Yetta Wohls „Four Women holding Things“. Die weiß gekleideten Tänzerinnen scheinen im gestischen Ausdruck, in der kunstvollen Führung der Arme mal in einem geschwisterlichen Einverständnis, mal Priesterinnen eines vergangenen Kults. Kultisch, jedenfalls verrätselt wirkt auch „Traces of you and us“ von Matthew Jared Perko. Inspiration waren Astrologie und die Improvisationstechniken des weltbekannten Choreografen William Forsythe. Percos Tanz-Trio bewegt sich verschrägt postneoklassisch, dies in ultra-rasantem Tempo. Alexander Hille schickt sein ebenso extrem körperbewegtes Quartett durch seine Gedanken über Einwanderung, Zugehörigkeit und Ausgrenzung im amerikanischen Südwesten.
Kein Zweifel, auch die nach der Pause noch folgenden vier „Neu-Choreografen“ Ethan Ribeiro, Francesco Saverio Cuoccio, Willer Goncaves Rocha und Micaela Romano Serrano haben hart an ihren Stücken gearbeitet. Themen wurden angegangen, die in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielen: von Identität, Genderzugehörigkeit, Lebensbewältigung in politisch prekären Zeiten bis zu psychischer Krankheit wie Depression. Der Rausschmeißer ist Micaela Romano Serranos „StuhlChoreografie“, in der alles zu diesem Sitzmöbel erzählt, gespielt und getanzt wird.
Noch zum choreografischen Trend des Abends: Diese kreative Crew hat natürlich Einflüsse aus ihrer Heimat oder aus früheren Engagements mitgebracht. Dennoch scheint es, dass der körperintensive Stil von Tanzchef Karl Schreiner ins Bewegungssystem seines Ensembles eingeflossen ist. Es ist eine Art der Quasi-Auflösung von Gelenken, eine Ultra-Beweglichkeit durch die ganze Wirbelsäule, ein weiches, fast zirzensisches Zusammenspiel aller Körperglieder, das keine Hindernisse mehr kennt. Das ist bewundernswert, birgt aber auch die Gefahr (diese kleine Warnung darf sein), nicht zu einem ganz eigenen Stil zu finden. Der moderne, genauer: der zeitgenössische Tanz hat in den vergangenen 30 Jahren an Bedeutung gewonnen. Selbst in den großen, noch klassisch ausgerichteten Compagnien werden immer häufiger zeitgenössische Werke ins Repertoire genommen. Umso wichtiger ist es für die nachrückende Choreografen-Generation, einen eigenen Stil für sich zu finden. Das ist ein ehrgeiziges Ziel – aber durchaus erreichbar.
Dass dieser mit so viel künstlerischer Energie und Mühe erarbeitete „Sparks“-Abend nur eine einzige Aufführung erleben durfte, das kann ja wohl nicht sein. Irgendwo müsste sich im Programm des Gärtnerplatztheaters doch noch eine Zeitlücke finden…
MALVE GRADINGER