„Mami ist die Beste“

von Redaktion

DJ Hell, Jonathan und Brigitte Meese stellen neue Musik im Bergson vor

Mami ist 95 Jahre alt. Ein Christkind: Am 25. Dezember ist ihr 96. Geburtstag. Und dafür, dass sie den gesund und munter feiern kann, sorgt ihr Sohn. „Ich mache das alles hier, um Mamis Vitalfunktionen am Leben zu erhalten. Es ist faszinierend, wie neugierig sie ist und wie sie Bock aufs Leben hat“, sagt eben dieser Sohn, Künstler Jonathan Meese. Der wünscht sich nicht nur, dass seine Mutter derart gut beieinander bleibt, wie sie es am Donnerstagabend auf der Bühne des Bergson Kunstkraftwerks für alle Augen sichtbar ist, er möchte auch, dass das ganze Land wieder gesundet. Schluss mit Zynismus und dem alten Affen Angst. Schluss mit Politik, die ausgrenzt und auf Schreckensszenarien aufbaut. „Unsere Vision ist: In zehn Jahren ist die Politik abgeschafft, dann gibt es nur noch einen Verwaltungsapparat. Einer, der mit Liebe gemacht ist.“ Hin zu einem Gesamtkunstwerk Deutschland.

Aber dafür muss der braune Mist erst weggespült werden. Im „Gesamtklärwerk Deutschland“. So der Titel des neuen Albums von Jonathan Meese, selbst lebendes Gesamtkunstwerk, und DJ Hell. Wieder haben sie sich zusammengetan, ihr zweites Projekt „Gesamtklärwerk Deutschland“ ist gerade erschienen. Bei einer skurrilen, herzerfrischenden Performance stellen sie es an diesem Abend in Aubing vor. Ihr Credo: „Kunst muss angreifen, den ganzen Mist, der uns die Freiheit nehmen will, wegspülen. Für eine bessere Welt.“

Da sitzen sie also, die drei. DJ Hell, Brigitte und Jonathan Meese, von links nach rechts in grünen Samtsesseln. Stumm lauschen sie auf der Bühne des Bergson-Konzertsaals, die Scheinwerfer auf sie gerichtet. Rund 30 Minuten hallt es aus den Boxen. Einmal mehr im Elektra Tonquartier freut man sich über die phänomenale Akustik. Und alle im fast ausverkauften Saal lauschen mit. Grooven sich sanft wippend ein in die mächtigen elektronischen Beats – und die zärtlichen Lyrics.

Letztere sind die Essenz eines Tonstudio-Tages von Mami und Meese. Sechs, sieben Stunden lang haben sie sich dort verbal ausgetobt. Sangen, diskutierten, fabulierten. DJ Hell zeichnete alles auf – und hat einzelne Fragmente herausgefiltert und in seinen Elektrosound virtuos integriert. Da fällt irgendwann der Satz von Brigitte Meese: „Ich bin müde.“ Und ihr Sohn: „Ich bin auch ziemlich müde. Aber: Wir sind gut drauf.“ Auch Mamis Gähnen hat DJ Hell eingefügt. Oder wenn sie „Hänschen klein“ singt, sich zwischen den Zeilen räuspert – „das lasse ich natürlich drin, das nehme ich dankbar auf“, betont der Soundexperte im Bühnengespräch mit Moderator Maximilian Maier. Meese ist völlig euphorisch ob der Arbeit seines DJ-Freundes: „Ich bin so begeistert davon! Mami und ich haben abgeliefert – und vertrauten ihm komplett. Zu Recht.“

Das erinnert musikalisch an die Elektropop-Pioniere Kraftwerk. Dass das kein Zufall ist, sondern bewusste Reverenz und Verneigung vor der Band aus Düsseldorf, zeigen die Pylonen, die auf der Bühne stehen und sich auch auf dem Plattencover finden. Für DJ Hell sind Kraftwerk „das Lebenselixier und der Aufbruch in meiner Karriere“. Was die drei nicht wussten, und was besonders der DJ hocherfreut von Maier erfährt: Der Bandname ist eine Hommage der Düsseldorfer an das frühere Heizkraftwerk in Aubing.

Da sind wir bei der Poesie, die das Leben schreibt. Und die Jonathan Meese mit seiner Kunst feiert. Gesamtkunstwerk Deutschland, das heißt für ihn, dass ein jeder daran mitmalen kann. „Wenn man den Alltag ohne Ideologie durchzieht, ist das schon Kunst. Deshalb muss man im Kleinen anfangen: in Worten, Silben, Gesten.“ Oder wie es Mami – „Lady Toleranz“ – Meese in einem der neuen Songs sagt: „Wir müssen freundlich miteinander sein, wir müssen einfach tolerant sein.“
KATJA KRAFT

meese x hell:

„Gesamtklärwerk Deutschland“ (Buback Tonträger).

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