Das warme Herz der Trilogie

von Redaktion

Berlinale-Sieger „Träume“ ist die filmisch freieste der drei „Oslo-Stories“

Verknallt in ihre Französischlehrerin: Johanne (Ella Øverbye) schreibt ihre verwirrenden Gefühle auf. © Lukasz Bak / epd

Als Literatur ist es begeisternd – als Realität wäre es womöglich justiziabel: Die 16-jährige Johanne (Ella Øverbye) verknallt sich in ihre neue Französischlehrerin Johanna (Selome Emnetu). Unter dem Vorwand, von ihr das Stricken lernen zu wollen, besucht Johanne sie daheim. Um ihr näherzukommen.

Es wird nichts aus der Sache – doch mit einem Jahr Abstand schreibt Johanne einen 95-seitigen Text über das damalige verwirrende Branden ihrer Gefühle. Mutter und Großmutter bekommen das Manuskript zu lesen. Sind angetan von dessen literarischer Qualität. Doch umgetrieben von der Frage: Wie viel ist da nur Wunschvorstellung? Und verschweigt es etwas, das wirklich geschah?

„Träume“ ist das starke Herzstück von Dag Johan Haugeruds Oslo-Triptychon. Und handelt am offensichtlichsten vom verbindenden Kernthema: der Wechselwirkung von, den Widersprüchen zwischen Sprache und körperlichem Begehren. Es ist bewusst der filmisch freieste der drei Filme: Die Fantasie-Ausflüge des Texts lassen auch die sonst eher kühle Kamera ausbrechen aus den strengen Kadrierungen, ein Auge haben für warmes Licht, wollweiche Texturen. Sie darf schweifen, träumen. Darf etwa eine schnöde Treppe zur Vision der Jakobsleiter machen.

Und hier ist Sprache nicht nur Dialog. „Träume“ hat eine Erzählstimme aus dem Off. Mit der er gewitzt spielt: Liest da Johanne ihre Aufzeichnungen vor? Ist es der daraus entstandene Roman? Eine mündliche Erzählung, wie’s zu dessen Veröffentlichung kam? Und zu wem spricht Johanne überhaupt?

„Träume“ war durchaus verdienter Gewinner der (zugegeben schwachen) Berlinale 2025. Was beweist, wie sehr er als eigenständiger Film funktioniert. Doch wer auch „Liebe“ und „Sehnsucht“ kennt, wird mit filmübergreifendem Zugewinn belohnt, wenn der Adressat des Off-Texts offenbart wird.

Johannes Erlebnis und Erzählen ihrer erwachenden, ein deplaziertes Ziel wählenden Sexualität lässt auch den Kitt bröseln im Generationen-Gefüge: Da ist Neid der Großmutter – selbst Autorin, schon lang ohne frischen Stoff. Da sind alte Gefühle der Zurückgesetztheit der Mutter. Und eine Mischung aus Stolz und Schutzinstinkt gegenüber der Tochter.

In all dem können die Worte verletzen, verwirren – aber auch heilen und etwas bewegen. Und, mit etwas Glück, der begehrenden Fantasie einen gangbareren Auslass zur Realität öffnen.
Thomas Willmann

„Oslo-Stories: Träume“

mit Ella Øverbye, Selome Emnetu, Ane Dahl Torp
Regie: Dag Johan Haugerud
Laufzeit: 110 Minuten

Hervorragend

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