Frühlingsfrösteln

von Redaktion

Rundfunkorchester mit Schostakowitsch

Auch wenn die Sonne scheint, ist längst nicht alles eitel Sonnenschein. Daran erinnert die Musik Dmitri Schostakowitschs: Im Tänzerischen schwingt oft Entsetzen mit, Lächeln kann jederzeit in Schreie umschlagen. Das Konzert des Münchner Rundfunkorchesters zum Schostakowitsch-Jahr 2025 versprach also keinen lauen Frühsommerabend – vielleicht ein Grund, warum im Prinzregententheater einige Plätze leer blieben.

Wenn also Schostakowitsch das Quartett, auf dem seine Kammersymphonie op. 49a basiert, als „frühlingshaft“ bezeichnete, so lässt sich das nur ironisch verstehen – hörbar wird eher ein angespanntes Frösteln. Patrick Hahn, Erster Gastdirigent des Ensembles, begegnet der Musik mit Zurückhaltung und Klarheit. Er leitet mit sparsamen Gesten, schleicht sich präzise durch die Partitur, greift nur im entscheidenden Moment ein.

So auch in Mieczysław Weinbergs zwölfter, Schostakowitsch gewidmeter Symphonie. Die Klangsprache erinnert tatsächlich an den Mentor, ohne ihn zu kopieren. Zerrissene Melodiebögen, abrupte Kontraste, fragile Momente formen ein Werk von großer Dichte, das Hörer wie Musiker herausfordert – bevor es auf einem leer gestrichenen tiefen C verstummt: ein Abgrundton. Auch wenn das Orchester nicht in allen Passagen die mögliche Schärfe entfaltet, begegnet es dem Werk mit gespannter Konzentration und legt feine innere Spannungen frei.

Direkter, emotionaler wirkt Schostakowitschs Liedzyklus „Aus jiddischer Volkspoesie“, der in der deutschen Übersetzung auch erzählerisch besticht. Dorothea Röschmann (Sopran) überzeugt mit durchdringender Präsenz, Hagar Sharvit (Mezzosopran) mit vollmundiger Intensität. Mit Maximilian Schmitt (Tenor) bilden sie ein eindrucksvolles Trio, das insbesondere in den gemeinsam gesungenen Nummern brilliert: „Winter“ setzt der Sonne draußen ein schauriges Kältebild entgegen, während im absurd-fröhlichen Finale „Das Glück“ als überlebensstrategische Maskerade erscheint.
ANNA SCHÜRMER

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