Zwölftönige Beziehungsweisen: Mojca Erdmann (Die Frau) und Benjamin Chamandy (Der Mann). © Birgit Gufler
Geplanter Höhepunkt einer Hochzeitsparty, doch mit dem Engagement dieser Gauklertruppe um Aris Argiris (Tonio, li.), Marie Smolka (Nedda) und Jason Lee (Peppe) braut sich was zusammen. © Birgit Gufler
Ein Gute-Nacht-Bussi fürs Kind? „Lass mich in Ruh‘ und geh‘ schlafen.“ Irgendwann ist mal Schluss mit dem Familienkram, mit der Mutterrolle, mit der Hausfrauenfron, auch mit dem Mann, der seine Frau an diesem Abend nicht wiedererkennt. Es locken Selbstverwirklichung und andere Bettgenossen. Doch zuvor beginnt die Verwandlung mit einem mondänen Kleid. Letzte Szenen einer Ehe? Der Bruch in „Von heute auf morgen“, diesem munteren Plapperstück, bleibt aus – es war ein Warnschuss der Frau.
Ohnehin driftet der Einakter irgendwann ins Surreale, die Musik oszilliert dazu in grellen Farben und scharfen (Nicht-)Harmonien. Dass dies die erste Zwölftonoper überhaupt ist, passt ganz wunderbar – und stört sogar die Traditionalisten im Publikum nur bedingt. Das Tiroler Landestheater hat sich was getraut: Statt Ruggero Leoncavallos Eifersuchtsthriller „Pagliacci“ wie üblich mit Pietro Mascagnis „Cavalleria rusticana“ zu koppeln, gibt es nun 50 Minuten Arnold Schönberg. So mutig ist übrigens die Bayerische Staatsoper nicht, dort hat am 22. Mai das übliche Doppel Premiere. Eine Lex Jonas Kaufmann, wie geraunt wird – doch der Star mochte irgendwann nur noch „Pagliacci“ singen. Pech gehabt.
In Innsbruck kommt es sogar zum Äußersten: Schönberg wird mehr gefeiert als Leoncavallo. Viel zu tun hat das mit den Theatertieren Mojca Erdmann (Die Frau) und Benjamin Chamandy (Der Mann). Die machen Musiktheater zur Screwball-Comedy und müssen von Regisseurin Jasmina Hadžiahmetovic nur noch kanalisiert werden. Erdmann und Chamandy jonglieren schlankstimmig und flexibel mit ihren Zwölftonpartien. Fast jedes Wort ist zu verstehen, auch weil es Dirigent Gerrit Prießnitz mit dem Tiroler Symphonieorchester zwar schillern lässt, sein Gesangspersonal aber nie überfährt.
Susanne Gschwender hat dafür ein Wohnzimmer im Retro-Charme entworfen. Dort steht seltsamerweise auch ein Kühlschrank, aus dem der Mann ab und zu eisgekühlte Karotten holt. Die gehören zur szenischen Klammer des Abends. Das vernachlässigte Kind der beiden trägt gern Hasenmaske (ein Trauma?), außerdem gibt es ein entsprechendes Gemälde überm Sofa. Ein Hasen-Kind spukt auch schon durch den ersten Teil des Abends, wenn das Zimmer am hinteren Bühnenrand hinter einem Flittervorhang ist: Meister Lampe wird da zum ironisch gebrochenen Fruchtbarkeitssymbol in beiden Opern.
Steigende Säfte provozieren bekanntlich in „Pagliacci“ einen Doppelmord. Hadžiahmetovic und ihr Ausstattungsteam haben alles von einem Dorfplatz in den Festsaal eines Wirtshauses verlagert. Dort wird gerade Hochzeit gefeiert, dort hat die Gauklertruppe um die in Silvio verliebte Nedda und ihren rasend eifersüchtigen Canio einen Auftritt. Der gedachte Höhepunkt der Party endet allerdings mit tödlichen Messerstichen. In ein mittelgroßes Haus wie Innsbruck passt das Setting perfekt. Ein kleines Extra hat sich die Regie auch einfallen lassen: Silvio ist nicht Bauer, sondern ein Priester, es kommt also zur doppelt verbotenen Liebe.
Der szenische Rahmen wird allerdings nicht ganz ausgeschöpft. Mehr Interaktion mit dem Chor wäre denkbar gewesen, irgendwann ist die Hochzeitsidee nur noch Hintergrund, alles mündet ins traditionelle „Pagliacci“-Drama. Aris Argiris ist dabei ein baritonwuchtiger, dämonischer Strippenzieher Tonio, müht sich auch um szenische Belebung. Xavier Moreno gestaltet seinen Canio mit gedeckter Heldenkraft. Jacob Phillips ist als emphatischer Silvio ein Sympathieträger. Und Marie Smolka singt eine dunkel gefärbte, in jeder Lage tongerundete Nedda. Vor wenigen Wochen in Innsbruck war sie eine herausragende, vokal freiere Tatjana in „Eugen Onegin“ (wir berichteten), die vielen Auftritte inklusive Proben sind ihr in der Premiere etwas anzuhören.
Gerrit Prießnitz überhitzt die Partitur nicht, kümmert sich um Details und klangliche Kulissenwechsel. Vieles ist auch „nur“ koordiniert: So ganz sind diese „Pagliacci“ noch nicht eingerastet, manche Chorszene gerät ins Schlingern. „La commedia è finita“ verkündet Tonio bekanntlich am Ende des Stücks. In Innsbruck ist das geflunkert: Da hebt der Abend mit Schönberg erst ab.
Weitere Vorstellungen
am 23. Mai, 1., 12., 15. und 18. Juni; Telefon 0043/ 512 52 07 44.