Machtmenschen im Ferienlager

von Redaktion

Guy Maddin über seinen neuen Film „Tanz der Titanen“ mit Cate Blanchett

Der Regisseur und seine Hauptdarstellerin: Guy Maddin mit Cate Blanchett. © imago stock

Hier ist die Politwelt noch in Ordnung: Bundeskanzlerin Hilda Ortmann (Cate Blanchett) begrüßt in „Tanz der Titanen“ zum G7-Gipfel. © Bleecker Street

Seine frühesten Filme präsentierte Guy Maddin noch persönlich beim Filmfest München: Leinwand-Fieberträume, die autobiografisches Mythologisieren mit übersteigerter Stummfilm-Ästhetik mischten. Sein neues Werk „Tanz der Titanen“, das morgen in die Kinos kommt, hatte große Premiere in Cannes: die Fantasie eines apokalyptisch entgleisenden G7-Gipfels, unter anderem mit Cate Blanchett als deutscher Kanzlerin. Wir sprachen mit Maddin in Zürich anlässlich der Werkschau im dortigen Filmpodium.

Für langjährige Fans ist es erst mal ein Schock, dass der neue Film nicht aussieht wie die gewohnten Maddin-Werke…

Stimmt. Ich habe fast 40 Jahre damit zugebracht Filme zu drehen, die einer Ära glichen, die selbst nicht mal so lang dauerte – den Zwanzigern und frühen Dreißigern. Ich fand’s an der Zeit, mich weiterzuentwickeln. Ich glaube aber doch, dass wir mit „Tanz der Titanen“ sehr ähnliche Dinge treiben, nur nicht auf visueller Ebene. Meine Co-Autoren Evan und Galen Johnson haben da mit der Sprache auf dieselbe Weise gespielt, auf die wir früher mit Filmemulsion gespielt haben.

Die Beschäftigung Ihrer Filme mit der Vergangenheit war immer mit Hoffnung auf Läuterung verbunden. Hier spukt sie nun unfreundlicher.

In Gestalt der Moorleichen aus der Eisenzeit? Ja. Das waren auch Stammesoberhäupter. Nur: Wenn die in der Eisenzeit ihre Stammesmitglieder enttäuschten, wurden sie rituell geopfert. Die sieben reanimierten Moorleichen im Film sind eine Art Spiegelbild, über die Jahrtausende hinweg, der großteils idiotischen G7-Oberhäupter jetzt.

Aber scheint der Film in Hinblick auf die Weltlage nun nicht fast optimistisch? Immerhin wirken die Machtmenschen eher wie Teenager im Ferienlager. Und versuchen ihr Bestes.

Sie raufen sich zusammen, nicht wahr? Sie verbringen die Nacht miteinander, haben ihr kleines Abenteuer, tragen einander, muntern sich auf. Ja. Am Anfang des Schreibprozesses haben wir all diese Leute gehasst. Aber man kann seine Charaktere nicht hassen. Man kann das Publikum sie hassen lassen – aber selbst muss man sie lieben, wie sie sich selbst und untereinander lieben. Oder muss zumindest ihre Nuancen schätzen.

Sie haben bereits Ihre Co-Regisseure Evan und Galen Johnson erwähnt. Wie sah die Zusammenarbeit aus?

In diesem Fall saßen wir alle drei in einem Zelt an Monitoren und schauten dem Ensemble zu. Dann rannte Evan – weil er der Jüngste war und das Skript geschrieben hatte – durch den nächtlichen Wald und gab den Schauspielern Anweisungen. Manchmal kam Cate Blanchett ins Zelt, um die Aufnahme einer Szene anzuschauen. Mitunter hörte man sie dann zu sich selber fluchen, um rauszugehen und es, ihrer Meinung nach, besser zu machen. Mir schien es immer großartig. Ich habe gelernt, ihr keine Komplimente zu machen. Ich sagte oft: „Das war toll, Cate.“ Und sie meinte: „Bullshit!“

Es hat also nicht die Stimmung verändert, Top-Stars wie Blanchett und Alicia Vikander dabeizuhaben?

Ich war vielleicht nicht ganz so schnoddrig und albern, wie ich gewöhnlich beim Dreh bin. Aber das war auch, weil das Team so groß war und ich es nicht gut genug kannte, um herumzuwitzeln. Alicia Vikander kam mitten zur Hälfte zum Dreh dazu. Sie hat vorher nicht mal jemand getroffen. Und sie hat sich richtig reingeschmissen. Ihr ging es nicht gut. Sie war schwanger, hatte furchtbare Kopfschmerzen und Fieber. Aber sie wollte unbedingt drehen. Alicia hätte am liebsten bereits die Proben mitgedreht. Aber das ging nicht, weil es draußen so kalt war. Alle trugen für die Proben Parkas. Aber mit ihr haben wir einfach den ersten Take perfekt in den Kasten bekommen und sind weiter zur nächsten Einstellung. Sie war völlig selbstlos und wunderbar. Alle waren wunderbar. Wir hatten totales Glück.

Weshalb haben Sie sich für Deutschland als Schauplatz entschieden?

Die berühmtesten Moorleichen Europas stammen aus Dänemark, das keine G7-Nation ist, aus Frankreich, Deutschland und dann noch aus Irland, wiederum nicht in den G7. Ich glaub’, die Entscheidung fiel recht schnell. Evan spricht Deutsch. Und wir lieben alle die deutsche Literatur, besonders des 19. Jahrhunderts, oder auch die österreichische. Sachen wie Thomas Bernhard, Franz Kafka und Adalbert Stifter. Ich glaube, Deutschland zieht uns einfach an.

Was man auch an Ihrem Film „Lawinen über Tolzbad“ sieht.

Der wurde tatsächlich von meinen Reisen nach München inspiriert. Meine ersten Reisen nach München waren um 1988 und 1990. Ich habe diesen Film 1991 gedreht. Ich war einfach inspiriert von Bad Tölz und den Bergen. Ich hatte nie zuvor wirklich Berge gesehen. Ich wusste noch nicht einmal etwas vom Genre der „Bergfilme“. Dann erklärte mir jemand, dass Bergfilme wie Western sind – insofern, als es da nur ungefähr fünf, sechs Grundmuster gibt. Aber das ist auf gewisse Weise sehr befreiend für Geschichtenerzähler. Ich fand: Das ist eine Herausforderung! Ich werde einen Bergfilm drehen, aber nur nach dem Hörensagen. Dies also nur für Ihre Münchner Leserschaft: Der Film wurde in München geboren.

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