Verballert

von Redaktion

Trotz Punkten aus ganz Europa landet Deutschland beim ESC nur auf Platz 15

Trio infernale: Michelle Hunziker, Hazel Brugger und Sandra Studer (v. li.). © KEFALAS/AP

Glücklicher Österreicher: Der 24-jährige Johannes „JJ“ Pietsch siegte am Ende deutlich mit 436 Punkten vor Yuval Raphael aus Israel und Tommy Cash aus Estland. © Jens Büttner/dpa

Zweimal gab es sogar „twelve points“: Abor & Tynna traten mit „Baller“ an. © Jens Büttner/dpa

Ein Österreicher feierte – und zwei Österreicher waren enttäuscht. Der Countertenor Johannes „JJ“ Pietsch holte beim ESC in Basel den dritten ESC-Sieg für sein Heimatland nach Udo Jürgens 1966 und Conchita Wurst 2014. „Leitln, wir haben den Schas gwunnen“, jubelte der 24-jährige Wiener nach seinem Triumph mit dem extravaganten Opern-Techno-Mix „Wasted Love“. Für „unsere“ Österreicher, für die Geschwister Abor & Tynna aus Wien, reichte es mit dem deutschen Beitrag „Baller“ nur zu Rang 15. Vom Sieg, mit dem ESC-Guru Stefan Raab seit Wochen hausieren ging, war das weit entfernt. Aus deutscher Sicht hat der „falsche“ österreichische Song gewonnen. Wir beantworten die Fragen zum größten Musikspektakel der Welt, das mit 9,16 Millionen Zuschauern bei ARD und One die beste Quote seit 2016 schaffte. Vor allem die jüngeren Zuschauer waren im ESC-Fieber wie lange nicht.

Wie lief die Abstimmung? Endlich wieder „Germany twelve points“! Zum ersten Mal seit Michael Schulte im Jahr 2018 gab’s den Lieblingssatz aller deutschen ESC-Fans wieder zu hören – und das gleich zweimal. Die Ukraine und Tschechien ballerten die Höchstwertung raus. Da riss es den jubelnden „Mr. ESC“ Raab vom Sofa im Green Room. Doch die erhofften „douze points“ der österreichischen Jury fielen aus – keine Punkte für ihre Landsleute Abor & Tynna. Bei den österreichischen Zuschauern lag „Baller“ dagegen vorn. Am Ende gewann Österreich mit 436 Punkten klar vor Israel (357), deren Sängerin Yuval Raphael während der Show einer Farbbeutelattacke nur knapp entging. Vor und während des Finales zogen mehrere hundert Menschen durch die Baseler Innenstadt und demonstrierten gegen Israels Teilnahme. Die Polizei hinderte Demonstrationsteilnehmer daran, in Richtung des Veranstaltungsgeländes zu ziehen.

Wie hat „Mr. ESC“ auf das Ergebnis reagiert? Zum ersten Mal seit er Guildo Horn 1998 zum ESC brachte, verpasste Stefan Raab mit einem seiner Projekte die Top 10. „Ich übernehme die Verantwortung“, erklärte er geknickt – und redete sich auf die starke Konkurrenz heraus: „Du bist immer nur so gut, wie der Gegner es zulässt.“ Sängerin Tünde Bornemisza alias „Tynna“, die eine prima Vorstellung lieferte, ließ sich die Freude vor allem an den zweimal zwölf Punkten nicht verderben: „Ich hatte den Spaß meines Lebens.“

Wie geht es mit Stefan Raab weiter? Nachdem RTL gerade seine Show „Du gewinnst hier nicht die Million“ abgesetzt hat, hat der einstige TV-Großmeister nun auch beim ESC sein goldenes Händchen verloren. Innerhalb der ARD wechselt die Verantwortung für den Song Contest jetzt nach fast drei Jahrzehnten vom Norddeutschen Rundfunk (NDR) zum Südwestrundfunk (SWR). Dass Stefan Raab weiter im Spiel bleibt, ist eher unwahrscheinlich. RTL würde als Partner gerne weitermachen, Senderchefin Inga Leschek weiß aber auch: „Partnerschaft ist, wenn beide Seiten wollen.“ Nachdem der ORF jetzt mit der Strategie gewonnen hat, einen vielversprechenden Beitrag intern auszusuchen, könnte auch das eine Lösung für den SWR sein.

War „Baller“ der richtige Song? Unter dem Angebot bei Raabs „Chefsache ESC“ auf jeden Fall. Es gab Punkte aus ganz Europa und jede Menge Respekt im Internet für den coolsten und modernsten deutschen Beitrag seit Lenas Sieg im Jahr 2010. „,Baller‘ ist ein seltenes Juwel beim ESC“, hieß es auf Englisch. Oder auch: „,Baller‘ ist der beste Song, den Deutschland jemals geschickt hat.“ Am Ende war die Elektropop-Nummer der beiden hochtalentierten Wiener aber doch nicht ungewöhnlich und auffällig genug. Nach Nemos „The Code“ im Vorjahr gewann erneut eine schrille, regenbogenbunte Nummer. Deutschland muss für nächstes Jahr weniger nach einem guten Song suchen und eher nach einem ganz besonderen, aufregenden Gesamtkunstwerk.

Wie war die Inszenierung in Basel? Exzellent! Komikerin Hazel Brugger wurde mit ihrer amüsanten Moderation zur „Queen of ESC“ und stellte Michelle Hunziker in den Schatten. Die 31-Jährige klopfte kesse Sprüche („Wir Schweizer haben keine Gefühle, wir haben Geld“), war am Schluss aber doch gerührt. „Danke, dass ich das mit euch erleben durfte“, sagte Brugger zu ihren Mitmoderatorinnen (neben Hunziker noch Sängerin und Moderatorin Sandra Studer), während die Tränen kullerten. Einen Gänsehautmoment gab es zuvor auch im benachbarten Fußballstadion, wo 36 000 ESC-Fans beim Open Air gemeinsam „Waterloo“ sangen.
JÖRG HEINRICH

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