PREMIERE

Mein Feind, der Clown

von Redaktion

Staatsoper zeigt „Cavalleria rusticana“/„Pagliacci“

Von Männern verraten: Szene mit Yulia Matochkina (li.), Rosalind Plowright und Ekaterine Buachidze (unten).

Das Ende kommt etwas unvermittelt – zumindest in dieser Inszenierung: Canio (Jonas Kaufmann) ersticht Nedda (Ailyn Pérez). © Geoffroy Schied

Nach Verlängerung 4:3. Ein Jahrhundertspiel, so sagt man heute. WM Mexiko, Deutschland-Italien, und alles hier zu sehen auf einem riesigen TV-Schirm in einer Münchner Trattoria, Jahrzehnte, bevor der Begriff „Public Viewing“ erfunden wurde. Bei Letzterem wird der Abend also historisch unscharf, auch wenn das Ausstattungsteam den Juni 1970 liebevoll nachgepuzzelt hat. Die Schlaghosen, die Klamotten in Orange, die Kinder mit Capri-Eis, der VW-Käfer, ein bisschen lächeln kann man schon darüber.

Anfangs auch über Turiddu, der unter dem Decknamen Canio als Gastarbeiter an der Isar angeheuert hat. Ein später Bub, der nur ein Problem hat: Wenn die Freundin anderen schöne Augen macht, greift er zum Messer. Mit der Idee, Pietro Mascagnis „Cavalleria rusticana“ und Ruggero Leoncavallos „Pagliacci“, diesen ewigen Opern-Zwilling, auch inhaltlich zu verlöten und umzumodeln, ist Regisseur Francesco Micheli nicht der Erste. Eine Geschichte zwischen Palermo und München rollt er an der Bayerischen Staatsoper auf. Mit munteren Zeitsprüngen, mal geht es sieben Jahre vor, mal sieben zurück. Das Kino mit seinen Mitteln grüßt.

Turiddu/Canio wird von einer Ebene in die nächste geworfen. Ein Emigrant, ein Entwurzelter, gern von einem stummen Statisten gemimt (Oliver Exner), die beiden Tenöre hatten darauf wohl keine Lust. Und irgendwann passiert etwas sehr Merkwürdiges mit dieser Premiere. Das, was Micheli, Edoardo Sanchi (Bühne) und Daniela Cernigliaro (Kostüme) da ertüfteln, ist irgendwie nachvollziehbar und manierlich anzuschauen. Doch gleichzeitig scheint es, als habe jemand aus beiden Einaktern, diesen vor Blut, Schweiß und Energie berstenden Kurzopern, die Luft rausgelassen.

In ihrem Ausstattungskümmern haben Micheli & Co. ganz vergessen, auf die so simple wie wirkungsvolle Geschichte zu vertrauen und halbwegs dreidimensionale Charaktere zu entwickeln. „Cavalleria rusticana“ zeigt ein surreales Schwarz-Weiß-Palermo, eine kühle Beziehungsstudie aus dem Traumlabor, in der Lola vom Bett aus den Seitensprung ihres Turiddu beobachtet. In „Pagliacci“ werden Bahn-Waggons und Schauplätze vom Trattoria-Büro bis zur Küche herein-, herum- und hinausgeschoben, sodass man zwischenzeitlich überfahrenes Gesangspersonal befürchtet.

Das tummelt sich bald an der Rampe, weil der Abend unter einer Akustiksünde leidet: Die offene Bühne verschafft den Stimmen kaum Resonanz. Wer weiter hinten agiert, singt wie in Schaumstoff hinein. Die Chornummern schlingern, rasten nur selten ein, sodass sich Dirigent Daniele Rustioni oft auf Sicherheitstempi zurückfallen lässt. Dabei ist er der ideale Mann. Seine Emotionalität, sein Feuer, seine Lust, spontan etwas aus dem Bayerischen Staatsorchester herauszukitzeln, passt für diese Partituren. Gleichzeitig schmeckt er Details ab und hält die Tempi flexibel. Der Erste Kapellmeister des Hauses und Chefdirigent der Herzen holt sich prompt die größte Ovation ab.

Eigentlich war alles ganz anders geplant

Damit verweist er den Star auf die Plätze. Jonas Kaufmann macht den Umschlag vom aufgekratzten zum mordwütigen Canio auch vokal plausibel. Man spürt, wie er alles beleben will. Und man hört, dass einige Spitzentöne schon sehr mattiert sind. Kollege Ivan Gyngazov, der Turiddu der „Cavalleria“, hätte mit seiner robusten, dunklen Dramatik problemlos nach der Pause weitermachen können. Ohnehin war zunächst ein Tenor für beide Stücke gedacht. Mehr noch: Eigentlich wollte die Staatsoper „Pagliacci“ mit Franco Leonis Entführungsdrama „L’oracolo“ koppeln, so wird erzählt. Warum es anders kam? Eine stereotype Antwort ist da zu hören: Fragen Sie Herrn Kaufmann.

Reanimationsarbeit verrichtet auch Wolfgang Koch (Alfio/Tonio) mit realistischem, offensivem Spiel und unerschrockenem Baritoneinsatz. Yulia Matochkina ist eine Santuzza mit gebündelter, klug dosierter Mezzo-Dramatik, Ailyn Pérez keine Zwitschermamsell, sondern eine reife, herbe, zupackende Nedda. Eine Wiederbegegnung gibt es mit der einstigen Sopranistin Rosalind Plowright für die Mama Lucia. Thomas Mole (Silvio) und Ekaterina Buachidze (Lola) sind mehr als angemessen besetzt.

Szenische Klammer ist auch eine Drehbühne, mit Tischen und Stühlen bestückt, die wie ein Ufo aus dem Schnürboden herabgelassen wird. Es ist der Aufenthaltsort vor allem für den in beiden Stücken so wichtigen Chor, der muss oft wie eingefroren Oratorienarbeit verrichten. Szenische Sättigungsbeilagen gibt es also zuhauf, das tödliche Finale ereignet sich unmotiviert. Es ist ein Abend, der sich „Cavalleria rusticana“ und „Pagliacci“ von außen nähert. Ins Zentrum der Stücke trifft er kaum, in unsere Herzen erst recht nicht.
MARKUS THIEL

Nächste Vorstellungen

am 25., 29. Mai, 1., 4., 8. und
12. Juni; Telefon 089/ 2185-1920.

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